Und der Wind bringt den Regen
flüsterte: «Siegfried! Das ist ja Siegfried!» Und sie lief ihm mit weit geöffneten Armen entgegen, das verblichene rote Kleid flatterte um ihre Beine, die Gummistiefel flappten über die trockene Erde. «Sieg!»schrie sie. «Sieg - du bist wieder da!» Sie warf ihm die Arme um den Hals und küßte ihn aufs Kinn, auf den Mund, auf die Wangen - was immer sie erreichen konnte. Dann, immer noch die Arme um ihn geschlungen, wandte sie sich um und winkte Nell, wild und triumphierend, zu sich.
«Komm, mein Junge», sagte Nell. Benbow ergriff sein Ferkel, und sie zogen los.
Nell sah einen hochgewachsenen blonden Mann, und an seiner Hand ein kleines Mädchen in Benbows Alter. Auch sie war blond -aber nicht wie Crystal, mit ihren rosig-weißen Wangen und ihren goldenen Locken -, ihr Haar und ihr Teint waren blasser. Sie war hell und zart wie eine Waldanemone. In der trüben Moorlandschaft, zwischen dem kräftigen Vater und Mabel in Schürze und Gummistiefeln, stand sie da wie eine schlanke, lichte Blume.
Mabel unterbrach ihre ausladenden Gesten und sagte: «Nell, das ist Siegfried. Und das ist seine kleine Tochter.» Sie wandte sich an das Kind. «Wie heißt du, Kindchen?»
Das Kind blickte sie verständnislos an. Als Mabel die Frage wiederholte, schmiegte sich die Kleine an ihren Vater und blickte stumm zu Boden. Vielleicht war sie taubstumm, dachte Benbow. Oder nur blöd.
«Ulrike», sagte der Mann.
«Wie bitte?» fragte Mabel.
Er zeigte auf das Kind. «Ulrike.»
«Na, was für ein Name!» lachte Mabel. «Nun kommt erst mal alle mit. Ich mach uns Tee. Oh, Benbow, mein Junge - das ist - na, du hast es ja gehört.»
Benbow starrte Ulrike an. Ein seltsames Gefühl stieg in ihm auf. Es drängte ihn zu dienen, niederzuknien, zu opfern. Er sah das Ferkel an, das friedlich in seinen Armen lag, und hielt es Ulrike hin.
Sie hob langsam den Kopf und blickte Benbow aus klaren braunen Augen an. Dann ging ihr Blick zu dem Ferkel, sie lachte mit ernsten Augen, deutete auf das kleine Tier und sagte: «Schweinchen.» Aber sie nahm es nicht. Etwas gekränkt setzte Benbow es ab, und sie gingen alle zum Haus zurück. Mabel war immer noch zappelig vor Aufregung. «Er war mein Kriegsgefangener», sagte sie zu Nell. «Ich glaube, er will hierbleiben. Er sagt, seine Frau ist kaputt — ich weiß nicht, ob das heißen soll, sie ist tot oder abgehauen, jedenfalls nehme ich an, sie ist weg.»
«Das ist aber nett für dich», sagte Nell.
«Nett? Mädchen, das ist einfach wunderbar! Ich bin nicht fürs Alleinsein gemacht, weißt du. Benbow, nimm mal die — die Kleine mit und zeig ihr die Schweine, ja?»
«Wir müssen gehen», sagte Nell - sie wollte das Wiedersehen der beiden seltsamen Liebenden nicht länger stören. Aber Mabel wollte nichts davon wissen. «Kommt nicht in Frage, erst mußt du noch Tee mit uns trinken.» Benbow führte Ulrike zu den Schweinen, und Ulrike betrachtete sie schweigend mit ihren großen braunen Augen. Benbow verschwendete kaum noch einen Blick an die Schweine, er betrachtete nur seine liebreizende Gefährtin; und er, der sonst immer schwieg, wünschte sich nichts mehr, als jetzt reden zu können. Aber seine Schüchternheit hielt ihn zurück. Nach einer Weile machte Ulrike einen kleinen feierlichen Knicks, ging ins Haus zurück und schmiegte sich zärtlich an ihren Vater.
Als Benbow und seine Mutter der strahlenden Mabel für das schöne Picknick dankten und sich verabschiedeten, sagte Mabel, sie müßten recht bald wiederkommen, dann könnte Benbow mit Ulrike spielen — was Benbow bis über beide Ohren rot werden ließ.
Sie fuhren nach Hause; der Vordersitz oben auf der Straßenbahn war besetzt, aber Benbow bemerkte es kaum. Er sah nichts als das helle Licht, das von dem kleinen deutschen Mädchen ausging...
Und Nell dachte an Mabel und freute sich für sie. Sie dachte auch an Tom und wie sehr er diesen Tag genossen hätte...
16
An einem Samstag, nach dem Dinner, klopfte es an der Haustür. Opa saß im Sessel und schnarchte, die Daily Mail auf dem Bauch. Oma sah Benbow zu, der sein rotes Feuerwehrauto über den Fußboden schob. «Nicht auf dem Teppich, Junge», sagte sie mahnend, «der geht sonst kaputt.»
Alice hatte ein Buch vor sich und las; wenn sie die Seiten umschlug, geschah es ungeduldig und fast gereizt. Man hatte bei ihr jetzt noch stärker als während des Krieges das Gefühl, als müsse sie all ihre Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht aufzubrausen. Nell starrte ins Feuer und
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