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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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kannte das Glitzern - es hatte nie Gutes bedeutet. Na, sie brauchte nicht zu denken, daß sie ihm noch etwas anhaben konnte. Er war fertig mit ihr. Ehrlich — er begriff nicht, was er jemals an ihr gefunden hatte.
    Trotzdem sah er etwas erhitzt aus, als sie an der Reihe war. «Ja?» sagte er kurz und blickte auf das Messer, mit dem er rhythmisch auf die marmorne Tonbank klopfte.
    «Du kannst mich haben, wenn du willst», sagte sie. Die Stimme war leise und sehr müde.
    Er blickte auf und starrte sie mit seinen kleinen rotgeränderten Augen an. Dann sagte er ebenso leise: «Männer ansprechen, darauf steht Strafe, Mädchen.» Das wird reichen, dachte er, befriedigt von seinem witzigen Einfall. Doch zu seinem Erstaunen sagte sie:
    «Ich hatte Heirat gemeint, Walter.»
    «Heirat?» Noch immer starrte er sie an, doch jetzt verzogen sich die Lippen zu einem abfälligen Lächeln. «Heirat?» Er traute seinen Ohren kaum. «Haben Sie denn letzthin mal in den Spiegel geschaut, Miss Dorman?»
    Sie ging hinaus, nach Hause. Nell war in der Küche. Alice setzte sich nahe ans Feuer. «Machst du mir jetzt wohl eine Tasse Tee, Nell?» fragte sie freundlich. Doch gleich darauf packte sie ein Schüttelfrost, der sie an allen Gliedern zittern ließ. «K-kalt draußen», sagte sie mit klappernden Zähnen. «Sieht g-ganz nach Sch-schnee aus.»
     

17
     
    Kurz nach Weihnachten kam Benbow in die Schule. Wegen der turbulenten Nachkriegszeit und der Lehrerknappheit hatte er ein Vierteljahr versäumt, denn im September hatte man für ihn keinen Platz in der Klasse gehabt. Er hatte also einiges nachzuholen.
    Da stand er nun, an diesem dunklen Januarmorgen, mit blankgeputzten Stiefeln und braunen Ledergamaschen um die stämmigen Beine, den Mantel fest zugeknöpft, in den Ohren den grellen Klang der Schulglocke, in den Augen mühsam beherrschte Angst.
    Die Schule lag in der Sebastopol Street. Er ging durch das schmiedeeiserne Tor, über den asphaltierten Schulhof voll schreiender, sich balgender Jungen und albern kichernder Mädchen, in die große Halle in Braun und Dunkelgrün, in der Bilder von Nelsons Tod, Maria Stuarts Hinrichtung und anderen ebenso heiteren Episoden aus der Geschichte Englands hingen.
    Gestern war seine Mutter mit ihm hergekommen, da war alles schön und leicht gewesen. Die Schulvorsteherin hatte ihn interessiert, wenn auch nicht begeistert gemustert und ihn dann einer Mrs. Foster übergeben, die sich zu Benbows Verblüffung als die Dame herausstellte, die er bisher als Tante Edith gekannt hatte. (Die Entdeckung, daß Erwachsene auf einmal an völlig unvermuteten Orten, mit anderen Namen und einer ganz veränderten Beziehung zu einem selber auftauchen konnten, brachte seine kleine Welt vollkommen durcheinander.)
    Aber es gab noch Schlimmeres als Tante Ediths Metamorphose. Heute war er, bevor er die große Halle erreichte, mit den Kleinen in eine Reihe gestellt worden und mußte, eins-zwei-drei-vier, links-rechts links-rechts, Arme schwingen, in die Halle gehen, wo der Rektor vor den geschlossenen Reihen der Schulkinder ein paar Minuten mit dem Allmächtigen sprach. Unter den scharfen Augen des Rektors (und wohl auch des Allmächtigen) lösten sich die Truppen dann mit militärischer Präzision auf, und Benbow marschierte mit den Jüngsten in eine Klasse, die nach Tinte und feuchter Kleidung roch und für ihn zu einer Stätte der Demütigung, Qual und Verzweiflung werden sollte.
    Das wußte er bereits in der ersten Stunde: Rechnen.
    Benbow hatte keine Ahnung, was Rechnen war; die anderen wußten es. Mrs. Foster/Tante Edith hatte im ersten Quartal Wunder vollbracht. Im Vergleich zu Benbow saßen in dieser Klasse lauter kleine Einsteins. Wer weniger als fünf richtig hatte, mußte sich auf die Bank stellen. Benbow hatte gar nichts richtig - war das weniger als fünf? Er wußte es nicht. Aber er erfuhr es bald. Tante Edith ging durch die Reihen, warf einen Blick in sein Heft, packte ihn mit eisernen Fingern an den Schultern und hievte ihn auf die Bank. Seine Stiefel klapperten auf dem Holz. Diese Demütigung! Ihm wurde schwindlig - Höhen hatte er nie vertragen. Es ist schrecklich, sich plötzlich auf einem anderen Niveau zu finden als die andern. Benbow betrachtete die anderen Missetäter — und entdeckte plötzlich die süße Ulrike unter ihnen. Die Freude ließ Angst und Schande für einen Augenblick versinken. Die anderen ließen die Köpfe hängen und sahen ihn nicht an. Sie wußten, was jetzt kam; nur Benbow wußte es

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