Und der Wind bringt den Regen
treffen sollte. Leider schien sie das nicht zu bemerken. «Komm, Junge, wir gehen nach Hause», sagte sie. «Die Küche muß noch gescheuert werden.»
Die um ihre Hochzeitsfeier betrogene Familie wußte nicht recht, was sie anfangen sollte. Alice ging hinauf in ihr Zimmer. Großtante Mabel sagte vernehmlich, es sei höchste Zeit, daß Min lerne, die Klappe zu halten und nicht allen Leuten die Freude an einem schönen Tag zu verderben.
Großtante Min sagte, sie habe doch nur eine einfache Frage gestellt. Schuld an dem ganzen Unglück sei der Junge. Es folgte eine lebhafte Diskussion über Nells Erziehungsfehler, über ihre Undankbarkeit, ihre Affäre mit diesem Taffy und über die Unzulänglichkeiten der Waliser im allgemeinen: es war eine befriedigende Aussprache, die alle wieder vereinte. Danach verzog sich Oma ins Bett, Opa suchte den Pfarrer auf, und Crystal mußte zu ihrem Leidwesen mit nach Hause.
Nell war die einzige, die an Frank dachte und sich fragte, was er vvohl tat. Ob er zu ihr kam, da er sonst kein Zuhause hatte in Ingerby? Er hatte noch Sachen dort, die er irgendwann holen mußte. Wahrscheinlich wanderte er todunglücklich durch die Stadt, bedrückt und ohne Hoffnung. Wenn er nicht kam und seine Sachen abholte, würde sie sich große Sorgen machen.
Er kam nicht. Und Nell hatte bald andere Sorgen. Ein paar Tage später ging sie zum letztenmal durch das Haus, das ihr kleines Königreich gewesen war, und warf einen wehmütigen Blick auf die Silberbirke, die einem Gemälde glich an diesem stillen Herbstmorgen. Dann holte sie sich den Wagen, belud ihn mit ihren Möbeln. Der alte George (der wieder bei Opa arbeitete) half ihr dabei, und sie schafften alles in den Verschlag an der Rückseite des Ladens. Liebevoll deckte sie eine alte Segeltuchplane über alles, ging nach oben in ihr altes Zimmer, das sie wieder mit Benbow teilte, und weinte.
Sie weinte nicht lange; denn plötzlich fiel ihr ein, was Großtante Mabel gesagt hatte: «Wenn mal ein schöner Tag ist, kommst du mit dem Jungen raus zu mir, dann machen wir ein Picknick.»
Heute war ein herrlicher Tag. Und sie hatte einen Rindfleischtopf im Ofen; Oma und Opa würden es wohl zusammen schaffen, den Topf aus dem Ofen zu nehmen und zwei Teller zu füllen. Oma hatte heute ihren Tag. Nell ging also nach unten und sagte:
«Großtante Mabel hat Benbow und mich eingeladen, mal für einen Tag zu ihr zu kommen.»
Oma blickte erstaunt auf. «So? Wann denn?»
«Ich dachte, wir können heute hinfahren. Das Essen ist im Ofen - Rindfleisch und Gemüseeintopf, alles fertig. Damit kommt ihr doch allein zurecht, nicht wahr?»
Oma sah aus, als habe sie Zweifel. «Ich weiß nicht, Nell. Wann kommst du denn zurück?»
Nell fühlte plötzlich Ärger in sich aufsteigen. Aber sie sagte geduldig: «So um sechs, denke ich.»
Pause. Dann von Oma ein mißbilligendes: «Na, dann werden wir wohl zurechtkommen müssen, Nell.»
«Gut», sagte Nell resigniert. Sie ging nach oben und holte Benbows Mantel. Traurig, aber ohne Bitterkeit dachte sie, wie schön es wäre, ein einziges Mal ein zustimmendes, ein ermunterndes Wort zu hören.
15
Es war ein herrlicher Oktobermorgen, doch nur wenige Menschen hatten ein Auge für das weiche Sonnenlicht und den feinen Schleier über den Bäumen und Feldern.
Oma sah nichts von dem herbstlichen Gold: sie saß in ihrem Wohnzimmer und warf keinen Blick nach draußen. Opa hockte in dem stickigen kleinen Raum hinter der Werkstatt, wo es nach Leim und Leder roch, nach Holzspänen und aufgekochtem Tee. Auch Albert atmete keine frische Luft, sondern den Geruch von Maschinenöl und Stahlteilen. Die Freude an der Arbeit war ihm vergangen, denn Munition wurde nicht mehr gebraucht. Albert baute jetzt Autos für reiche Müßiggänger, eine Kategorie von Menschen, die er nicht ausstehen konnte. Auch Edith sah nichts von dem schönen Tag, sie unterrichtete in einer alten viktorianischen Schule, um das Minus in Alberts Lohntüte wettzumachen. Und Walter stand hinter einem Berg von Würstchen und warf grinsende Blicke auf die jüngeren und hübscheren Kundinnen.
Auch Frank Hardy, der verloren unter dem Geschrei der Möwen den Strand von Lincolnshire entlang wanderte, hatte keine Augen für den leuchtenden Tag. Dies hätte seine Hochzeitsreise sein sollen... Kraftlos rollten die Wellen auf den Sand, schleppten sich noch ein Stückchen weiter und fielen dann ins Meer zurück. Frank setzte sich auf eine Buhne. Er sah nicht die Möwen,
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