Und der Wind bringt den Regen
abzuschreiben, was sie nach einem ängstlichen Rundblick auch tat. Sie hatte sechs Aufgaben von zehn richtig, genau wie Benbow. Ein schüchtern-dankbares Lächeln belohnte ihn.
Doch da geschah etwas Schreckliches. Crystal stand auf, lehnte sich weit vor und stützte sich mit einer Hand auf ihr Pult, die andere reckte sie in die Höhe. «Miss!» rief sie laut. «Miss — Benbow und Ulrike haben gemogelt!»
Tante Edith hielt in ihrer Züchtigungsaktion inne und kam wie ein rächender Engel auf die zwei armen Sünder zu. Sie prüfte die beiden Hefte: eine abgekartete Sache, zweifellos. Benbow und Ulrike erhielten jeder zwei Stockschläge und mußten den Rest des Nachmittags oben auf ihrer Bank stehen bleiben, was Benbow noch härter traf als Ulrike, denn wenn ihre Mutter nicht hinsah, piekte ihm Crystal Stecknadeln in die Waden.
Und dann waren die Osterferien da, und Benbow fand sich in einem längst vergessenen Himmel mit Mam, oben in ihrem kleinen Zimmer, allein mit ihr. Kein Frühaufstehen, keine Schule und keine Mrs. Foster, außer an einem Morgen, als Benbow ins Wohnzimmer kam und dort Tante Edith im Gespräch mit Oma vorfand.
«Hallo, kleiner Benbow», sagte Tante Edith, süßlich und eiskalt.
Benbow machte ein finsteres Gesicht.
«Wie kommt er denn in der Schule mit?» fragte Oma, insgeheim stolz darauf, daß die einzige Studierte in der Familie ihre beiden Enkelkinder unterrichtete.
«Recht gut», gab Tante Edith zurück. «Er kann schon das Einmalzwei. Sag mal das Einmalzwei, Benbow.»
Benbow brach in Tränen aus. Es waren doch Ferien! Auf die Idee, daß Tante Edith heute ihren Stock nicht bei sich hatte, kam er gar nicht.
Oma sah Benbow mißbilligend an. «Crystal kann das Einmalzwei sicher auswendig, nicht wahr, Edith?»
«Crystal kann schon das Einmalacht», erwiderte Edith kühl.
«Einmal acht ist acht, zweimal acht ist sechzehn, dreimal acht ist vierundzwanzig», legte Crystal sofort los.
«Das reicht, Crystal», sagte Tante Edith.
Erwartungsvolle Stille. Benbow schnüffelte. «Du bist mir ein komischer Junge», sagte Oma vorwurfsvoll.
Nell kam herein und sah den verzagten Jungen. «Was ist los?» fragte sie scharf.
«Gar nichts — Edith wollte nur, daß er das Einmalzwei aufsagt. Das hat er übelgenommen», antwortete Oma. «Ein richtiger Heulpeter ist er.»
«Heulpeter - Heulpeter - Heulpeter», begann Crystal.
Ihre Mutter brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
«Warum weinst du denn, mein Dummerchen?» fragte Nell liebevoll.
«Weil er denkt, er kriegt was mit ’m Stock!» rief Crystal. «Jedesmal heult er, wenn er was mit ’m Stock kriegt.»
«Gar nicht wahr!» rief Benbow verzweifelt.
Schweigen. Dann fragte Nell: «Kriegt er denn was mit dem Stock?»
«Ja, wenn er es verdient hat», gab Edith mit fester Stimme zurück.
«Jeden Tag kriegt er was, weil er’s immer verdient», stellte Crystal fest. «Er kann nicht rechnen und nicht lesen und nicht -»
«Du hältst jetzt den Mund», fuhr Edith dazwischen.
«Und warum hast du mir das noch nie gesagt, mein Junge?» fragte Nell.
Benbow wußte es nicht. Er schluckte. Sicher hatte er jetzt noch mehr zu erwarten.
«Komm bitte mit in die Küche, Edith», sagte Nell.
Edith zuckte mit den Schultern, stand auf und folgte Nell in die Küche.
«Du gibst ihm also was mit dem Stock, wenn er Fehler im Rechnen macht?» fragte Nell.
«Ja. Dann macht er nämlich bald keine mehr.»
«Aber wenn er es noch nicht kann?»
«Er kann es. Als er begriffen hat, daß er entweder arbeiten oder Schmerzen aushalten muß, hat er sich fürs Arbeiten entschieden. Es gibt andere, die das nicht tun. Aber Benbow hat mehr Verstand.»
Nell wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte. Tag für Tag hatte sie mit angesehen, wie ihr Sohn sich widerwillig zur Schule schleppte, als ginge es zum Galgen. Das konnte doch nicht richtig sein. «Aber er ist doch noch so klein», sagte sie zögernd. «Er hat —»
«Das schadet ihm nichts. Im Gegenteil, es macht ihn zum Mann. Ich habe schon mehr als einen jungen ohne Vater gesehen, die von ihren Müttern verzärtelt wurden. Überlaß das nur mir, Nell.» Sie lächelte ihrer Schwägerin zu, beinahe freundschaftlich. «Der wird bestimmt für ein Stipendium ausgewählt, bevor ich ihn abgebe.»
Nachher, als sie allein waren, sagte Nell zu Benbow: «Es tut mir so leid, daß du Schläge bekommst, Benbow. Aber Tante Edith meint es gut mit dir, glaub mir. Sie will nur dein Bestes.» Enttäuscht sah sie, daß
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