Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
Vom Netzwerk:
ihm einen Kuß. «Sag ihr viele Grüße, ja?»
    Aber Benbow hatte noch einiges mehr im Sinn. Er schlug drei Fliegen mit einer Klappe: er besänftigte sein Gewissen, er machte seiner Mutter eine Freude, und er erfüllte sich selber einen plötzlich dringenden Wunsch — er wollte Ulrike wiedersehen.
     
    Auf einmal war sein Interesse an Mädchen erwacht. Nach der Kinderliebe zwischen ihm und Ulrike hatte er, wie alle Schuljungen, geglaubt, daß Mädchen dumme alberne Geschöpfe seien, mit Jungen überhaupt nicht zu vergleichen. Jetzt wußte er, daß er sich geirrt hatte: das hatte Tante Vanwy ihm klargemacht. Zu Hause und in der Schule fehlte ihm die Gelegenheit, mit Mädchen zusammenzutreffen. Aber jetzt wanderten seine Gedanken sehnsüchtig zu Ulrike. Die Kinderliebe erblühte von neuem. Er konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen.
    Er lehnte sein Rad an die Hecke und öffnete die Pforte. Tante Mabel kam gerade aus der Haustür, einen Eimer mit Schweinefutter in der Hand. Wie immer trug sie das alte rote Kleid und die alten schlammverkrusteten Gummistiefel. Sie starrte ihn an. Dann setzte sie den Eimer ab, um ihn zu umarmen. «Nein so etwas — Benbow!» Sie hielt ihn auf Armeslänge von sich und sah die Quaste an seiner Mütze. «Junge, bist du fein geworden. Was bedeutet das? Bist du Schulsprecher?»
    «Ja.»
    «Donnerwetter!» Sie wandte den Kopf und schrie ins Haus: «Rieke! Benbow ist da.» Dann schob sie ihren Arm unter seinen und lachte ihn zärtlich an. «Wie ich mich freue, Junge!»
    Er lachte zurück. Doch plötzlich verschwand das Lachen aus seinem Gesicht. Eine junge Frau trat aus der Tür. Sie trug eine einfache weiße Bluse und einen grauen Rock. Ihr langes blondes Haar wurde im Nacken von einem schwarzen Band zusammengehalten. Ihr Gesicht war blaß. Sie lächelte ihm ruhig und ernst mit schmalen blassen Lippen zu. «Hallo, Benbow», sagte sie. Die im Gegensatz zu ihrem Lächeln etwas rauhe Stimme war von erregender Zärtlichkeit. Darin—aber nur darin—ähnelte sie Vanwy.
    «Wollt ihr zwei nicht einen Spaziergang machen? Ich kümmere mich derweil ums Essen», schlug Tante Mabel vor.
    Benbow sah Ulrike hilflos an. Einen Augenblick lang spielte ein kleines Lächeln um ihre Mundwinkel. Dann nickte sie ihm fast förmlich zu und ging den Pfad entlang zur Pforte. Er ging neben ihr her. Sie wartete, bis er die Pforte geöffnet hatte, und ging hindurch. «Wo wollen wir hin?» fragte sie.
    Nord - Süd - Ost — West - das flache Moorgelände sah überall gleich aus. Sie wandten sich nach Süden. Benbow verstand nicht viel von Mädchen, aber eins wußte er: man mußte mit ihnen reden, sie unterhalten, sonst machten sie sich lustig und konnten sehr verletzend sein. Wenn ihm bloß etwas einfiel! Sein Mund war trocken, er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. «Wie geht es Tante Mabel?» fragte er dann. Nicht gerade genial, aber etwas anderes fiel ihm nicht ein.
    «Ach, sie ist so gut zu mir! Ich habe sie schrecklich gern. Sie hat alles für mich getan - wirklich alles. Sogar auf die Oberschule hat sie mich geschickt — stell dir vor!»
    Daher also die korrekte weiße Bluse, das damenhafte Aussehen inmitten von Schweinen und Gemüsebeeten. «Tante Mabel hat dich auf die Oberschule geschickt?»
    «Ja. Von ihrem Ersparten, sagt sie. O Benbow, weißt du noch, diese gräßliche Grundschule und die gräßliche Mrs. Foster?» Und zu seinem unaussprechlichen Entzücken legte sie ihre schmalen Finger auf seine Hand und sagte: «Aber du warst immer nett zu mir. Du hast sogar Schläge für mich eingesteckt, du Armer.»
    «Ach, das war doch nichts», sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung und suchte verzweifelt nach einem anderen Thema. «Was hast du vor, wenn du aus der Schule kommst?» fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern. «Vielleicht gehe ich zurück nach Deutschland.»
    Ihm war zumute, als sei ein Schatten über die Sonne gefallen und als schwiegen plötzlich die Lerchen. Aber da er Engländer war, sagte er nur: «So, wirklich?»
    Sie wandte ihm das Gesicht zu. Die Blütenblässe war verschwunden, die haselnußbraunen Augen leuchteten, und sie sagte eifrig: «Drüben geschehen jetzt aufregende Dinge, verstehst du? Meine Heimat wird wieder ein großes Land.»
    Er hatte keine Ahnung, was sie meinte. Anfang der dreißiger Jahre wußten englische Schüler recht gut über Julius Cäsar Bescheid, aber über den neuen Eroberer, der ihrer aller Leben in andere Bahnen lenken sollte, wußten sie nichts. Er

Weitere Kostenlose Bücher