Und der Wind bringt den Regen
wie schön das sein muß: eine Lichtung im Wald, ein Lagerfeuer, Hunderte von jungen Leuten wie Wolfgang, und hübsche Mädchen, und alle lachen und singen beim Feuerschein.» Benbow sah es vor sich: die Funken, die ins Dunkel flogen, die strahlenden Gesichter, und ringsum der tiefe Wald und die hohen Berge. «Es klingt herrlich», gab er zu.
«Es ist auch herrlich. Besonders wenn man das hier sieht.» Sie deutete auf die flache Moorlandschaft.
«Also hör mal», sagte er gereizt, «so ist es ja nicht überall in England. Paß auf: Sonntag gibt’s eine verbilligte Fahrt nach Dovedale. Laß uns mitfahren! In der Bank haben sie mir erzählt, wie hübsch es dort ist - da gibt’s auch Berge.»
Sie lächelte schuldbewußt. «Gern, Benbow, abgemacht. Und — tut mir leid, was ich eben über Deutschland gesagt habe.»
Er küßte sie. Sie war ein bezauberndes Mädchen und sie hatte ihn auch gern, bestimmt. Aber sie hatte gesagt, sie würde nie einen Engländer heiraten. Wenn das ihr Ernst war, würde das Leben für ihn grau und freudlos sein...
Es war ein strahlender Sonntag. Benbow trug einen grauen Flanellanzug und einen weichen Filzhut. In der einen Hand hielt er seine gelben Handschuhe und seinen Stock, in der anderen eine Tasche mit Sandwiches und einer Thermosflasche. Ulrike sah frisch und reizend aus in ihrem weißen Leinenkleid. Ihr Haar glänzte im Sonnenlicht.
In Ashbourne mußten sie umsteigen. Sie saßen nebeneinander auf den staubigen Roßhaarsitzen im Dritter-Klasse-Abteil. Der kleine Zug schlängelte sich schnaufend durch die friedliche Hügellandschaft. Sie saßen Hand in Hand und küßten sich und blickten aufgeregt aus dem Fenster auf die schöne, ihnen noch fremde Landschaft. Benbow hatte kaum je einen Hügel gesehen, und Ulrikes Erinnerungen an die bayerischen Berge waren längst verblaßt. Am Bahnhof von Alsop-en-le-Dale stiegen sie mit den anderen Ausflüglern aus und gingen den hellen gewundenen Pfad zum Dove hinauf.
Zum Picknick ließen sie sich in einem sonnenbeschienenen alten Steinbruch nieder. Benbow, der wohl wußte, wie stubenblaß er aussah, wünschte sich glühend, so sonnengebräunt zu sein wie Vetter Wolfgang. Aber bald versteckte sich die Sonne hinter den Wattewölkchen...
Ulrike fühlte sich wohl. Ihre langen kühlen Finger lagen in seiner Hand. «Es ist schön hier», sagte sie. «Vielen Dank, Benbow.»
Er stützte sich auf den einen Ellbogen und blickte in ihr Gesicht hinab. Sie lächelte still, und plötzlich wurde ihr Blick nachdenklich und dann fast herausfordernd. Sie waren allein, so allein in der warmen Hügelmulde, wie zwei Menschen nur sein können. Er sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen, sie ganz fest an sich zu ziehen, bis sie eins wurden mit der warmen Sonne und den singenden Lerchen. Doch wenn ihn die Schule und jetzt die Bank je etwas gelehrt hatten, so war es dies: sich in jeder Situation korrekt zu verhalten, wie ein englischer Gentleman. Also wischte er sich die Grashalme vom Ärmel, küßte ihre Finger und fragte lächelnd: «So schön wie in Deutschland?»
Sie schwieg nachdenklich. «Würdest du wirklich keinen Engländer heiraten, Ulrike?» fragte er leise.
Sie sah ihn immer noch an, und ihre Augen verengten sich. Dann sagte sie ruhig: «Vielleicht doch — wenn er so lieb und gut wäre wie du, Benbow.» Und ehe er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, war sie lachend aufgesprungen und zog auch ihn auf die Füße. «Komm, wir laufen um die Wette den Hügel runter!» Und schon lief sie los und zog ihn hinter sich her. Am Fuß des Hügels hörten sie auf zu laufen und gingen langsam weiter. Er legte zärtlich den Arm um sie.
«Ulrike, willst du mich wirklich heiraten?» fragte er ungläubig.
Sie nickte und sah ihn lächelnd an.
Nell hatte an diesem Tag am Fenster gestanden und beobachtet, wie die Sonne die Schornsteine vergoldete, wie die Wolken über das schmale Stück blauen Himmels segelten, das sie von dort aus sehen konnte.
Schön mußte es in Dovedale sein, bei solch einem Wetter. Hoffentlich hatten die Kinder einen fröhlichen Tag. Einmal war sie mit Tom dort gewesen. Sie erinnerte sich noch an den rieselnden Bach, an das sonnige Grün der Blätter und wehenden Gräser, an die plätschernden Wellen. In einem kleinen Cottage hatten sie Tee getrunken. Hatte sie das alles wirklich einmal erlebt, ein solches Paradies auf Erden? Es war kaum zu glauben. Doch für eins war sie heute noch dankbar: sie hatten damals jeden Tag ihres
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