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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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verbunden. Und nach den vielen Jahren in Reigate fühlte er sich im wärmeren Süden eigentlich recht wohl. Von hier aus erschien ihm Ingerby grau und kalt und höchstens halbzivilisiert.
    Aber die Stellung war natürlich verlockend - die nächste Stufe würde dann der Direktorsposten sein. Und er hatte ja immer gesagt, ihm sei es egal, wohin er komme, seine Karriere sei ihm wichtiger.
    Aber ausgerechnet Ingerby... Sicher würde er irgendwann
    Alice Dorman dort begegnen. Wahrscheinlich war sie längst mit ihrem Schlachter verheiratet, und womöglich fand er einen ihrer Sprößlinge in seiner Klasse.
    Und wenn sie gar nicht geheiratet hatte? Er war erstaunt, als er merkte, daß sein Puls plötzlich schneller ging. Sie war eine auffallende Erscheinung gewesen, eine sehr schöne Frau. Für ihn war sie — trotz ihrer scharfen Zunge und der vorgerückten Jahre—noch immer das Ideal einer Frau. Mit Herzklopfen, aber auch mit Angst, daß alte Wunden wieder aufbrechen könnten, bewarb er sich um den Posten und kam in die engere Wahl.
    Seine Zeugnisse, sein Offiziersrang, sein ruhiges, bestimmtes Auftreten und seine disziplinierte Haltung sprachen zu seinen Gunsten. Die andern Kandidaten hatten kaum eine Chance. Man bot ihm den Posten an, und er sagte zu. Er fand eine kleine Wohnung gegenüber vom Park mit Aussicht auf den Spielplatz. Die nächste Stufe der Leiter war erklommen...
    Zuerst war es recht einsam für ihn. Die Kollegen respektierten ihn, aber sie mochten ihn nicht besonders. Es ging ihm wie den meisten Männern, die den Krieg mitgemacht hatten: Er war älter und reifer und schloß sich den jüngeren nicht leicht an. Ein paarmal wurde er von verheirateten Kollegen zum Essen eingeladen, aber die Frauen fanden den Junggesellen steif und schwerfällig; man bat ihn nicht zum zweitenmal.
    An einem warmen Aprilabend, als er es zu Hause nicht mehr aushielt, ging er hinunter in den Park und begann, mit schnellen unruhigen Schritten den Kiesweg entlangzugehen.
    Eine Frau kam ihm entgegen. Sie war mittleren Alters und ging unverkennbar wie jemand, der immer allein geht. Sie trug keinen Hut, und ihr goldblondes Haar glänzte in der Abendsonne. Nell! Er wollte sich abwenden und über den Rasen davonlaufen, aber es war zu spät - sie hätte es bemerkt. Vielleicht erkannte sie ihn ja gar nicht, nach der langen Zeit...
    Nein, sie erkannte ihn nicht. Sie hatte den Blick gesenkt und sah ihn nicht einmal an. Er seufzte erleichtert auf.
    Doch dann überfiel ihn der Gedanke an seine Einsamkeit. Er wandte sich um und sagte laut: «Verzeihung.»
    Sie beschleunigte ihren Schritt. «Verzeihung», rief er noch einmal.
    Sie blickte über die Schulter zurück, blieb aber nicht stehen. Er eilte ihr nach. «Nell...» Wie hieß doch ihr zweiter Mann? Ach was: «Nell Dorman, nicht wahr?»
    Sie starrte ihn an. Ein trauriges kleines Gesicht, dachte er, aber immer noch lieb und jung. Und plötzlich strahlte es so freudig auf, daß ihm das Herz warm wurde. «Frank Hardy! Was machst du hier?» Sie streckte ihm die Hand entgegen und drückte die seine fest und herzlich.
    Er berichtete von seiner neuen Stellung. «Und was macht dein Sohn?» Er versuchte, sich auf den Namen zu besinnen. «Benbow heißt er, nicht wahr? Und die beiden Alten? Leben sie noch?»
    Und Nell erzählte... Sie setzten sich auf eine Parkbank, auf die die letzten Strahlen der Sonne fielen. «Und wie geht es dir?» fragte er und sah sie aufmerksam an. Die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Trotzdem war sie die gleiche liebe, freundliche, muntere Nell wie früher.
    Sie zog die Schultern hoch und sah ihm lächelnd in die Augen. «Ich kann nicht klagen, Frank.»
    Allzu glücklich klang es nicht. «Ich nehme an... dein Mann...» sagte er tastend.
    «Tot», sagte sie. Punktum.
    «Das tut mir leid.»
    Sie lächelte. «Vor allem willst du doch sicher etwas über Alice wissen.»
    «Nicht unbedingt», sagte er kühl.
    «Sie hat nicht geheiratet, verstehst du? Sie ist jetzt Oberin in ihrem Krankenhaus. Aber sie kommt ab und zu nach Hause, zu uns.»
    «Ich dachte, sie hätte geheiratet», sagte er tonlos.
    «Nein.» Die Sonne berührte den Horizont. Schon hing ein Stern am blassen Aprilhimmel. Sie starrte auf ihre Hände. «Warum kommst du nicht einmal zu uns?»
    Er schwieg. Zwanzig Jahre war es her. Seit zwanzig Jahren hätte er mit Alice verheiratet sein können, wenn ihm nicht sein Stolz im Wege gestanden hätte. Sein Stolz, die Eifersucht und seine kleinliche

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