Und die Eselin sah den Engel
einen einfachen Grund: die regenreiche Zeit hatte im gleichen Dreijahreszeitraum eine ungeheure Steigerung der Geburtenrate zur Folge. Hier die Zahlen:
1940 3 Geburten
1941 4 Geburten
1942 18 Geburten
1943 17 Geburten
1944 16 Geburten
Betrachtet man nur die angeführten Statistiken, hätten die Jahre der Katastrophe ebensogut als »Die Drei Jahre der Fruchtbarkeit« bezeichnet werden können. Die in diesem Triennium empfangenen Kinder wurden bekannt als »Regenbabys«, beziehungsweise später dann »Regenkinder«.
XIV
»Was sollen wir mit diesem Tag anfangen? Was? Nachdem wir unsere Seelen jetzt in dem heiligen Wasser gereinigt haben: was sollen wir tun? Was?« fragte Poe herausfordernd von der Kanzel.
Durch die Gemeinde ging ein dunkles Murmeln, man sah von einem zum andern. Aber schließlich richteten sich die meisten Blicke auf Philo Holfe, den ältesten und größten der Holfe-Brüder und inoffiziellen Sprecher der Ukuliten. Ehemaliger Kustos des kleinen Naturgeschichtlichen Museums, das im Anbau des Gerichtsgebäudes untergebracht war – jetzt schmählich verwahrlost und selten geöffnet –, war Philo Holfe ein einfacher aber wohlmeinender Mann, der freilich mehr mit seinen Muskeln als mit seinem Hirn Achtung einflößte.
Philos massige Gestalt erhob sich aus der Kirchenbank und schwebte in einer Galaxie anspornender Blicke. Beredsamkeit war ein Wort, das Philo nicht kannte. Nach einiger Zeit begann er zögernd zu sprechen. »Bitt schön, Prediger Poe, vielleicht solltet doch lieber Ihr diese Frage beantworten? Was sollen wir an diesem Tag machen, nachdem wir jetzt gereinigt sind?«
»Sollen wir uns vielleicht wieder in den selben stinkenden Sündenpfuhl zurücklegen, der uns vorher besudelt hat?! Ist es das, was Ihr wollt?! Sollen wir uns auf unseren gottverdammten Lorbeeren ausruhen und unser verfluchtes Unglück beklagen?! Sollen wir einfach abwarten, bis der Himmel ausgetrocknet ist?! Sollen wir warten?! Brüder und Schwestern! Ich sage Nein! und nochmals Nein! Heute ist der Tag der Abrechnung. Gott wacht über diesen Tag und richtet uns alle. Durch den heiligen Ritus der Taufe haben wir den Boden unserer Seelen bestellt, haben wir unsern Geist zum Empfang bereitet für die Saat Gottes – des Schöpfers aller Dinge. Siehe! Die Saat des Herrn wird aufgehen! Inden meisten wird die Saat des Herrn gedeihen, üppig und grün – doch sehet! Noch zu dieser Stunde sind auch solche unter uns, die nur schwarz und kümmerlich wachsen. Und diese sind es, die das Tal verdorben haben, seine Seele heimgesucht haben, und Gottes Zorn auf Euch herabgezogen haben!«
Der Regen schien zur Unterstützung des Predigers ein wenig lauter zu hämmern. Philo, noch naß, fragte: »Woran erkennen wir sie, Prediger Poe? Woran erkennen wir die schwarze kümmerliche Pflanze?«
Die Gemeinde zollte der Frage mit leisem Murmeln Beifall.
»Ich, Abie Poe, bin Spezialist für Unkraut! Ich bin die Hand, die es ausreißt! Sie sollen nicht mehr sagen: ›Ich bin der Zweig des Lebens‹ – sie, die Stengel des Todes sind!«
Ermutigt vom beifälligen Echo, fragte Philo mit Donnerstimme: »Was müssen wir tun? Was meint Ihr mit dem Stengel des Lebens und dem Zweig des Todes?«
»Stengel des Todes sind diejenigen, die die Grenzen des Anstands herausfordern, die sich in Wollust suhlen und im Kot der Unzucht und des Unglaubens waten, die heimlich fremden und bösen Göttern huldigen, die sich mit falschen Kronen schmücken, die den Gerechten in Versuchung bringen und in den Schmutz ziehen, die ihre Ohren vor dem Wort Gottes verschließen, die den Namen des Allmächtigen mißbrauchen! All das ist das Mark der Stengel des Todes! Unsere Aufgabe ist einfach. Reißt sie heraus!« Poe hob die Hände und ballte sie zu Fäusten. »Ich bin die Sichel, die den Stengeln des Todes zu Leibe rücken wird!«
Poe ließ beide Fäuste gleichzeitig auf die in Leder gebundene Bibel krachen, die vor ihm auf der Kanzel lag.
»Aber wer, Prediger Poe? Wer?« fragte Carl Holfe, der plötzlich aufgestanden war; und seine drängende Frage ward von der ganzen Gemeinde wiederholt, die nun ebenfalls mit pöbelhaftem Lärmen auf die Füße kam. Die Finger ausgestreckt, hob Poe ein zweites Mal die Hände. So stand er ein paar Minuten, den Kopf gesenkt, die Hände ausgebreitet. Schließlich ebbte der Radau ab, und Poe hob den Kopf.
»Ich denke, wir haben eine tapfere Seele unter uns, die willens ist, den ersten Stein zu werfen. Mrs. Eldridge, würden Sie
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