Und die Eselin sah den Engel
nur Angst vor mir. Kein einziges Mal sah ich sie im Stall eine Bewegung machen. Kein einziges Mal hörte ich sie bellen.
Am vierten Tag beschloß ich, den Stall nach draußen zu bringen.
Das Schweigen der Bellenden Spinne machte mich fertig.
Anfangs glaubte ich, der Stall sei ihr nicht recht.
Dann dachte ich, vielleicht ist sie bloß ebenso stumm wie ich.
In der zweiten Nacht erwachte ich in kaltem Schweiß, und da begann mich ein anderer Gedanke zu verfolgen, ein Gedanke, der mir schwer auf dem Herzen lastete – vielleicht wartete sie darauf, daß ich als erster etwas sagte? O einsame Spinne, wenn ich dich nur hätte wissen lassen können …
Schließlich brachte ich den Stall in einem Kissenbezug nach draußen. Ich setzte mich auf den Stamm neben dem einarmigen Galgenbaum und nahm den Stall aus der Hülle. Er glänzte in der Sonne wie ein Silberhelm, ein Lichtstrahl blitzte von ihm auf.
Ich sah erst nach, ob Krähen in der Nähe waren.
Dann nahm ich die beiden Hälften des Stalls auseinander und schüttelte die Spinne aus der Radkappe; kleine Streifen Zeitungspapier flatterten nach unten wie Luftschlangen, und die Leichen von hunderten Insekten rieselten mir wie Hochzeitsreis um die Füße.
Meine Atra virago landete auf den Füßen, so, wie alle Spinnen es tun, die man fallenläßt; jedenfalls habe ich das so herausgefunden.
Und ohne auch nur zu nicken, kroch meine Spinne den ganzen Baumstamm entlang und verschwand im Zuckerrohr.
Und ich blieb dort einfach so auf meinem Baumstamm sitzen.
Und nach einer Weile schlenderte ich den Hang zum Schrotthaufen rauf, ohne irgend etwas sonderlich Wichtiges vorzuhaben.
Und ich warf die beiden Hälften des Stalles von mir und bummelte weiter.
Ich ließ mich von der Sonne braten.
DRITTES BUCH
Hundskopf
Die Zeit drängt. Ja. Die … Zeit … drängt. Seltsam das, denn früher hat sie noch nie gedrängt. Nicht ein einziges Mal, solange ich mich erinnere. Nicht ein einziges Mal in den achtundzwanzig Jahren meines Lebens. Nicht ein einziges Mal. Achtundzwanzig Jahre – das sind rund zehntausend Doppelrunden des Stundenzeigers – Jesses! Wenn ich mir vorstelle, daß ich auf meinem stummen Arsch gesessen und achtzehn Millionen Ticks und achtzehn Millionen Tacks der idiotischen Uhr zugehört hab, ohne was andres mein Eigen nennen zu können als einen riesigen Scheißhaufen Zeit – und jetzt, was passiert jetzt, zur Stunde meines Sterbens, wo ich ein bißchen Platz gebrauchen könnte? Da heißt es: »Mach schon, Blödmann – zieh sie raus, Jack.« Da heißt es: »Fangen wir mal richtig an zu drängen!!«
Gar nicht so einfach, diese Sterberei, ganz und gar nicht so einfach. Ach, jetzt mal eine ordentliche Lunge voll Luft! Gefesselt im Quetschen und Saugen dieses Matschs, dabei aber schwimmend, in einer erdrückenden Galaxis schwebend, werden meine Innereien von Wogen des Ekels geschüttelt, während sie mit den zupackenden Fingern meiner Rippen kämpfen, fast als wenn Haut und Knochen geheiratet hätten, um mich als teuflisches Korsett zu pressen und mich Magen, Herz, Lunge und alles andere auskotzen zu lassen. Ständig steigt mir Galle in die Kehle, offenbar reziprok zu meinem Abstieg. O mein Abstieg! O mein Abstieg! Wie im Leben, so im Tod: alles abwärts gerichtet! Stechende Klingen vom Auge ins Hirn. Die Ausdünstungen machen mich würgen. Giftige Dämpfe umringen mich wie Schlangengeister. Aber die machen mir keine Angst mehr. Weder mit ihrem Gemurmel. Noch mit ihrem Geschmeichel. Ich hab den Spuk viel greulicherer Biester als dieser überlebt. Ich sage, scheiß auf dieses phosphoreszierende bleichsüchtige Gas! Soll es sich über mich wälzen! In mich rein! Durch mich durch! Mein Hirn ist ein schmutziger Schwamm, getränkt mit den giftigen Dämpfen dieses Pissepfuhls! Was soll’s, wenn meine Erinnerungen im Sterben vom Schwefelpestgestank dieser Grube ein wenig eingefärbt werden? Das steh ich locker durch. Ich meine, ich hab nie um einen leichten Abgang gebeten.
Nein! Scheiße! Wer will schon im Schlaf abtreten? Ich nicht! Nicht Euchrid Eucrow, der Sohn Gottes. Gebt mir einen Tod, an den ich mich erinnern kann, bis ans Ende mei… Mist! Nein! Ich sage, laßt mich mit einem Knall abkratzen! Kein Sumpf, keine Schreckgespenster, keine Kopfgeldjäger, kein verdammter Niemand kann mir das wegnehmen. Denn ich weiß: ein besserer Ort erwartet mich. Dort unten. O ja. Meiner harret ewige Jugend. Gott schenkt Seinen Kindern Tugend. Verdammt! Mein
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