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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Schädel ist verseucht mit widerlichen Gedichten. Vergiftet mit eintönigen Reimen. Es gibt Tage, wo jeder Gedanke, der mir durch den Kopf geht, einen anderen nach sich zieht, im gleichen Takt, im gleichen Rhythmus und gereimt. Hört nur.
    »Es scheint, daß Du versinkst, o ja, langsam sinkst Du unter. Worein Du freilich da versinkst, das bleibt für mich ein Wunder!«
    O Donnerstimme aus den Wolken, das Sprechen schmerzt mich sehr. Ich sinke einfach in den Tod, das Leben sinkt umher.
    »Du irrst, Getäuschter, wahrer Tod ist oben hier bei mir, Die Höllenpfuhle, Qual und Pein, nur die sind unter Dir!«
    O steig herab von Deinem Haufen Scheiße, Du Betrüger, Satanischer im Himmel! Du bist und bleibst ein Lügner! Du wirst mich nicht mehr täuschen, mit Deinem Zorngefunkel, Denn Gott, er lenkt mein Ruder, und steuert mich ins Dunkel. Der Sumpf klafft auf und zieht mich runter, mein Körper ist bezwungen,
    Und Satan schüttelt sich und zupft an grellen Flammenzungen.
    »Auch hier im Himmel herrscht die Hölle, wo alle Teufel lachen. Den Himmel hab ich nur erdichtet, die Welt zur Höll zu machen.«
    Wie gesagt, gar nicht so einfach, das Sterben – aber das steh ich durch. Glaubt ihr vielleicht, ich kneife? Ich meine – kneife ich etwa? Quatsch! Glaubt ihr vielleicht, ich wüßte nicht, was euch durch die Köpfe geht? Na, dann wollen wir mal ein paar schlichte Wahrheiten klarstellen, die euch wohl langsam mächtig durcheinander geraten. Ich hab den Wasserturm nicht sabotiert. Ich meine, um Himmels willen, die verdammten Stelzen waren durch und durch morsch. Im übrigen kamen Pa und ich gut miteinander aus. Gott hab ihn selig. Vielleicht sind welche aus der Stadt raufgeschlichen und haben’s getan? Ich kann denen gerechterweise nicht direkt die Schuld zuweisen, aber zutrauen würd ich’s ihnen. Ihr etwa nicht?
    Ich bin kein Mörder, nein. Doch, na ja, ich bin einer. Ok – na und? Ich hab letztes Jahr ein paar Hobos umgebracht. Aber alles zu seiner Zeit und an seinem Ort.
    Wißt ihr, daß ihr an meinem unausweichlichen und unwiderruflichen Hinscheiden teilnehmen werdet? Nein? Na, dann ölt mal eure Flinten und schmiert eure Macheten und schlingt ein hübsches dickes Seil, denn ob ihr’s wißt oder nicht, ihr seid es, die mich zur Strecke bringen werdet – ja! Zur Strecke bringen und töten. Zur Strecke bringen und töten. Ihr haßt mich, und ihr wißt nicht warum. Aber alles zu seiner Zeit und an seinem Ort. Und nun zurück, zurück zu dem Grab, in dem mein Daddy für den Rest seiner Tage liegen sollte. Für den Rest seiner Tage.
     
    Ich lag und lag Tage und tagelang. Die frische trächtige Erde, unlängst vom Klatschen und Patschen meines Spatens glattgeschlagen, trug nun den krummen Eindruck meines Körpers. Denn ich lag da oben drauf wie irgendein vergessener Unbegrabener, so reglos wie tot. Und ich schwöre, durch all die Tage und Nächte hab ich, die Wange an den Boden geschmiegt, die da unter mir hören können. Ein wenig Trost, ein wenig Tränen, ein wenig Lehm im Mund.
    Ich konnte einfach nicht von diesem Grab lassen – dabei hab ich durchaus nicht auf irgendwas gewartet, denn erwartet hab ich nichts, überhaupt nichts. Ihr müßt nämlich wissen, ich war völlig lethargisch vor Erwartungslosigkeit. Ich war nicht fähig, diesem frischen kühlen Lager auf dem Erdhügel zu entsagen – nicht nur wegen der unheimlichen Musik, die von dort drinnen hochstieg und mir mein Herzblut, meine Kraft zu nehmen schien; sondern auch – und dies mag euch bereits eingekommen sein –, weil ich Angst hatte. Angst um mich selbst, nun, da Pa mich ganz alleingelassen hatte. Der Schrotthaufen, der hintere Hof, der ausgebrannte Chevy, die Veranda, die gottverdammte Hütte mit ihren drei Zimmern, der vordere Hof, der Galgenbaum, der Weg in die Stadt, das Zuckerrohr, diese Felder im Fruchtwechsel – ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Belebtes und Unbelebtes schien mir in finsterem Einverständnis, als hätte es Freude an meinem Heulen und Zähneknirschen.
    So durchlitt ich Tage und Nächte in erratischem Schlummer, und meine Knochen schmerzten mich bis ins Mark. Schwer lag auf mir Tag und Nacht die wühlende Hand des Frevels. Unerträgliche Pein wuchs in meinem Herzen, entschlossen mich zu töten. Und immerzu drang aus dem Boden unter mir das Gemurmel der Toten, die lärmende Gravidität des Grabgeläuts empor mit hundert halbverständlichen, halbbedeutsamen Botschaften.
    »Den Sünder treffen der Leiden gar

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