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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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viele.«
    »Es redet im Donner der erhabene Gott.«
    »Wir werden gewertet wie Schafe, zum Schlachten bestimmt.«
    »Nicht raffe mich hinweg mit den Sündern und Blutbefleckten.«
    Und – und, na ja, aus dem Lärmen dieser geringen, unbedeutenden Stimmen tönte die Stimme Gottes – und die war – die war ehrfurchtgebietend – wie in Psalm 29. Ihr wißt schon, das ist der über Seine Stimme, die die Zedern zersplittert und die Wüste erbeben läßt.
    Er nannte mich Knecht. Er sagte: »Knecht, errichte Mir eine Mauer.« Er sagte mir, daß sie kommen würden und ich sie nicht hereinlassen dürfe. Er sagte: »Knecht, errichte eine hohe Mauer aus Holz und Draht.« Er sagte mir, ich solle sie rundherum bauen. Er sagte, in ihrem Innern wäre mein Königreich, und ich würde eine Krone tragen. Er sagte mir, ich solle die Gläubigen darin sammeln und dem Reich einen Namen geben.
    UND ICH NAHM EINEN KNOCHEN – EINEN SCHÄDEL – UND NANNTE DAS KÖNIGREICH: HUNDSKOPF
     
    Hundskopf. Meine Festung und Zuflucht. Das mir zugewiesene Königreich.
    Und die Befehlsgewalt hatte Er – Der Große Erlöser und Bekämpfer des Unrechts.
    Seine vielen Stimmen, die manchmal flüsterten, manchmal brüllten, sagten die erstaunlichsten Dinge. Ganz erstaunliche Dinge, die mein Kopf kaum fassen kann. Und ganz furchtbare Dinge. Geschworene Geheimnisse, so furchtbar, so erstaunlich – Wahrheiten von so unnennbarer Wahrheit – huh! Ich sage, es waren einfach zu viele, zu gewaltige und zu verteufelt unbefleckte Wahrheiten, als daß ein so mieser Haufen Arschlöcher wie ihr sie besudeln könntet. Ihr, die ihr mich mehr als dreimal verleugnen werdet, bei Gott. O ja, mein Herr! Und Sie auch, meine Dame! Ihr, die ihr sogar in diesem Augenblick eure Verräterlippen zum Judaskuß spitzt!
    Sämtliche frevelhaften Gedanken wurden mir aus dem Hirn gejagt von Seinem heiligen Chor – Seinen Sängern. Alles Obszöne, alles verderbte schwere Atmen, das so lange seine häßliche Weise hier drinnen – in meinem Kopf – ausgekeucht und geflüstert hatte, ertrank im ratternden Ton und Takt Seines Befehls. Es war wie das Rattern eines Zugs, ein gleichmäßiger Takt, schier hypnotisierend – eines Zuges auf gerader ebener Strecke, weder beschleunigend noch langsamer werdend, nein, nur das Pumpen der Kolbenfäuste – errichte-die-Mauer – errichte-die-Mauer – immer so weiter, immer wieder dies Monostichon – und dann –  und-mach-sie-ganz-hoch und-mach-sie-ganz-hoch und-mach-sie-ganz-hoch, immer und immer und immer wieder, sie-suchen-dich-heim sie-suchen-dich-heim, immer und immer und immer so fort.
    Bis die Mauer fertig war, vergingen gut sechs Monate, schätze ich – ich meine, der Winter folgte dem Herbst, und der folgte dem beschissenen Sommer, in dem ich mit dem Bau angefangen hatte. Es war eine große Mauer. Es war eine ehrfurchtgebietende Mauer. Sie erinnerte mich an eine gezackte Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, oder an einen Zitteraal, der zu schlafen vorgibt, aber jederzeit bereit ist, zuzuschlagen. Wenn im Winter der Wind auf Blech und Bretter traf, bellte und knirschte der riesige Ringelwurm bei jedem stürmischen Anrennen, als wäre der Wind als genauso große Bedrohung anzusehen wie all die anderen – die Ausrotter, die leibhaftigen Eindringlinge, die bösen Würger – ihr.
    Aufs Dach meines hölzernen Schlosses hatte ich mir einen Turm gebaut; und dort stand ich, drehte mich langsam im Kreis und suchte die hohe Mauer nach Hinweisen ab – nach Hinweisen, die sich womöglich an den Brettern und sonstigen Holzteilen zeigten, an den Stapeln von Obst- und Teekisten, den Zaunlatten und Spalierstangen, an den großen Wellblechstücken und Stahlplatten, den Farbeimerdeckeln und zugenagelten Fensterrahmen, den Türen des Chevys, an dem Zaundraht und Hühnerdraht und Stacheldraht, an den Pfosten und Pfeilern, den Gerüstresten, Stricken und Kabeln, den zerbrochenen und ganzen Flaschen und so weiter. Und immer sah ich, selbst nach einem halben Jahr mühsamsten Schuftens, Stellen in dieser Mauer, die ganz eindeutig nicht so robust waren, wie sie hätten sein sollen – ja, eindeutige Schwachstellen, an denen ein Eindringen möglich war, sei es eine lose Latte oder ein verzogenes Blech, ein gelockerter Querbalken oder ein zerfranstes Seil, von welch allem, weiß Gott, die Festigkeit der gesamten Konstruktion abhängen konnte.
    Tatsächlich, und es ist besser, ich sag euch das gleich – besser für mich, soll das heißen –, war

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