Und die Eselin sah den Engel
Tote.
»So viel Tod …«, dachte er und wollte selber sterben.
Dann schaufelte er das Loch wieder zu, und am Abend war aller Tod begraben. Er schlug den geschwollenen Hügel mit der Rückseite seines Spatens glatt, ging dann auf dem Hof herum und bückte sich immer wieder, um einen Zahn oder einen Knöchel aufzuheben und auf den Müllhaufen zu werfen. Krähenteile beförderte er in den Verbrennungsofen. Er schlenderte weiter in ziellosen Kreisen auf dem Hof herum, bis er endlich hinter dem nackten Erdhügel zum Stillstand kam. Er setzte sich. Der Lehm war warm. Er zog die Knie ans Kinn, gähnte, und streckte die Beine wieder aus. Er stützte sich auf einen Ellbogen, drehte sich auf die Seite und lag in halb entspannter Haltung, den Kopf in die Hand gestützt. Er schloß die Augen, zog wieder die Knie an die Brust und legte seinen Kopf auf die feuchte Erde.
Wie ein Embryo lag er auf dem schwangeren Bauch aus Lehm und zählte die Schläge, die aus dem Inneren drangen – die Schläge eines Herzens. Erst eins, dann zwei, ein leises Stampfen, das nach und nach zu einer ganzen Familie pochender Herzen anwuchs; er spürte sie von unten heraufbeben. Er hörte eine Klaue scharren, dann einen Stachel; ein Schnabel hackte; ein paar Zähne nagten. Er glaubte eine tote Hand zu hören, die sich aus all dem Tod emporwühlte. Eine Natter zissschte Antwort. Jaulen und wildes Kläffen. Und dann legten alle die mundlosen Ungeborenen im Innern des toten Bauches los, und bald pulsierte der Boden vom Lärmen der Toten, und Euchrid, ihr Hüter, lag eingerollt und schlief, in tiefen Schlummer gewiegt von ihrem Gestoße und ihrem Gepolter.
Er träumte nicht. Stattdessen zog ihn seine Erinnerung in eine Zeit zurück, da er kaum zehn Jahre alt war.
Ich war knapp zehn Jahre alt, als ich eine Atra virago , besser bekannt als Vargus Bellende Spinne, in Pflege nahm; doch war ich ihr nicht gewachsen und mußte sie wieder laufen lassen.
Ich bekam meine Atra virago von einem Hobo für eine Flasche Kartoffelschalenschnaps, die ich am gleichen Abend aus einem von Mas Destillierapparaten abgezapft hatte.
Wäre ich nur ein bißchen stärker gewesen, hätte ich sie ganz bestimmt heilen können.
Der Tausch ging ohne weiteres vonstatten, auch wenn ich das Gefühl hatte, daß dies ein feierlicher Augenblick für den Hobo war. Das Zittern seiner Hände, als er mir den Topf hinhielt und kaum den Deckel aufhalten konnte, verriet eine gewisse Sensibilität, die unter Hobos – meist nichtsnutzige Schurken – selten anzutreffen war.
Ich baute meiner Spinne einen genialen Stall. Und zwar so. Hört zu.
Auf dem Schrotthaufen fand ich eine alte Radkappe und ein verbeultes Küchensieb. Die beiden ließen sich perfekt aufeinandersetzen und bildeten eine leicht abgeflachte Hohlkugel mit festem Boden und stark perforierter Decke, so daß die Spinne atmen und sehen konnte. Ich riß eine Zeitung in gleichmäßige Streifen und legte damit die Radkappe aus, um einen weichen federnden Bodenbelag zu bekommen.
Meine Bellende Spinne war groß wie ein Tafelteller und paßte genau in ihren Stall. Ich fütterte sie hauptsächlich mit Hausfliegen, dazu kam gelegentlich ein Ohrwurm oder eine Schmeißfliege. Am ersten Tag stellte ich den Stall unter mein Bett.
Drei Tage und drei Nächte ging ich nicht aus meinem Zimmer.
Nach einiger Zeit nahm ich dort im Dunkeln ein Streichholz, riß es an der Seite des Stalles an und hielt es dicht über die Perforation, auf daß die tanzende Flamme ihr bebendes Licht hineinwerfe.
Die Lungen rauh von beißendem Rauch, rückte ich näher und spähte in den Stall, in seine unheimlichen Sphären – diese Höhlen – diese schwarznassen Wunden – unverwandt – furchtlos …
Wieder! Und wieder! Von Schwefeldunst benebelt. Und wieder!
Ich glaube, in diesen feuchten, giftigen Höhlen – den Sümpfen ihrer Augen – diesen onyxfarbenen Teichen – hätte ich mein Leben verlieren können, so, wie diese dunkel leuchtenden Spiralen mich herabzogen. Denn sie hielten mich fest! Ja! Lähmten mich! Betäubten mich! Zeigefinger und Daumen warfen Blasen. Mein Laken war mit kleinen verkohlten Holzspänen übersät. Ich lauschte von neuem – und spähte wieder hinein.
Es war wirklich eine ganz wundersame Spinne. Pechschwarz war sie, und zum Steiß hin mit ebenholzschwarzen seidigen Haaren bedeckt. Nur ihre Augen funkelten, aber auch schwärzlich, wie rohe Kohlen oder glasierter Ruß – schwärzlich, sag ich, jedoch nur manchmal. Aber sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher