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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Janson
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›Träge‹ ihre Sklavin. Wenn Menschen in Midgard gestorben waren, lehrte Hel sie, rückwärts zu leben, sodass sie jünger und jünger wurden und wiedergeboren werden konnten. In einem anderen Mythos, der Hadding-Saga, wird von einer Frau erzählt, die unter die Erde geführt wird. Sie bleibt vor einer unüberwindbaren Mauer stehen, dort dreht sie einem Hahn den Hals um. Den Kopf des Hahns wirft sie über die Mauer. Auf der anderen Seite beginnt der Hahn zu krähen, da begreift sie, dass die Mauer sie vom Totenreich trennt.« Der Professor stocherte mit der Feuergabel in der Glut. Die Flammen spiegelten sich in seinen runden Brillengläsern.

    Als die Gäste gegangen waren, blieb Maria allein auf dem Wohnzimmersofa sitzen. Sie hatte sich geweigert, zu ihrem bierseligen Ehemann ins Bett zu gehen, da der zu einem ernsthaften Gespräch nicht mehr in der Lage war. Da konnte er noch so zärtlich sein. Der Mäusebussard starrte Maria von seinem erhabenen Platz auf dem Bücherregal triumphierend an. Die kleine Wühlmaus drehte und wand sich in dem festen Griff. Der gebogene Schnabel des Vogels mit seinem fleischigen Klumpen an der Wurzel war bereit, sein Opfer zu zerreißen. Die Augen blinzelten bösartig. Die Maus war nicht das einzige Opfer. An den Wänden des Zimmers hingen mehrere Tiere, Hunde, Katzen und sogar ein Pferd mit weißem Schaum vor der Schnauze und weit aufgerissenen blutunterlaufenen Augen. Die Tierkörper waren von Speeren durchbohrt. Das Blut floss bis zu Marias Füßen und vermischte sich mit dem Blut ihrer gemarterten Fersen, die von den Stiefeln aufgescheuert waren. Dick Wallströms blaubleiches Gesicht schaukelte vorbei. Seine bloßen Füße berührten Marias Haare und Schultern. Der Puls hämmerte hart in Marias empfindlichen Schläfen. »Komm jetzt«, flüsterte er. Maria stemmte sich mit den Füßen dagegen, hielt sich mit den Armen am Sofa fest, aber die Kissen gaben nach. Sie rutschte nach unten, hinunter nach Nifelhel, dem Reich der Urkälte. Der Hahn krähte auf der anderen Seite »Komm jetzt«, die Stimme wurde deutlicher. Dick hielt sie an den Schultern fest, schüttelte sie. Seine Augen waren leer. Da waren schwarze Löcher. »Maria, kannst du nicht kommen und dich hinlegen. Es ist kalt und einsam. Ich entschuldige mich, wenn du willst, aber komm jetzt mit ins Bett.« Dicks Gesicht verschwand, und stattdessen war das von Krister da. Maria schrie. Es war Heiligabend.

DER 24. DEZEMBER

9
    »In einer richtigen Presssülze hat man Speck und Schwarten. Das Fett ist nötig, damit die Sülze zusammengehalten und saftig wird. Das Eisbein kann man auch durch einen halben Schweinskopf ersetzen, der etwa drei Kilo wiegt.« Maria blickte verstohlen zu ihrer Schwiegermutter, die lebhaft und voller Stolz mit dem Professor über Presssülze sprach, dem Höhepunkt der Weihnachtstafel. Die Sülze kam gleich nach der Leberpastete mit Speckrand und natürlich dem panierten Schinken. Kristers Tante lehnte sich über den Tisch zu Maria. »Hat die Polizei den Mörder aus dem Kronwald schon gefasst?«
    »Nein«, antwortete Maria höflich und biss die Zähne mit einem leise knurrenden Ton zusammen. Seit sie an diesem Tag über die Schwelle ihrer Schwiegermutter getreten war, hatte sie nichts anderes getan, als diese Frage zu beantworten beziehungsweise die Anschlussfrage: »Warum tut die Polizei nichts?« Kristers Brüder wollten Einzelheiten wissen, pikante Einzelheiten, die sie bei kommenden Festen in ihrem Bekanntenkreis ausstreuen konnten. Das Wort Schweigepflicht war ihrer Ansicht nach mit Arroganz gleichzusetzen. Maria blinzelte Morgan in stillem Einverständnis zu. Dank seiner Hilfe ersparte sie sich das Zuhören und Kommentieren jeder Einzelheit bei der Herstellung der Presssülze. Krister war in ein Gespräch mit seinem Bruder vertieft, bei dem es um die Vorteile einer Klimaanlage im Auto ging. Er schien sich überhaupt keine Gedanken darüber zu machen, wie sie das Geld für ein solches Auto aufbringen sollten. Krister saß praktisch schon in dem Auto und spürte die behagliche Temperatur an seiner glühenden Wange. Die Frauen deckten den Tisch ab. Die Männer zogen sich zurück und tranken Punsch vor dem offenen Kamin. So war es seit Urzeiten gewesen. Das Feuer knackte, der Tannenbaum und das Kiefernreisig um den Kamin herum dufteten, Eiswürfel klirrten in den Kristallgläsern. Die Schwiegermutter hatte keine Spülmaschine. Gemeinsam deckte man ab, spülte und trocknete das Geschirr ab. Die Küche

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