Und die Goetter schweigen
hatte. Maria blätterte die Post durch, und ihr schwante Böses. Hastig blickte sie zur Tür und begann systematisch den Müll zu durchsuchen, Kartoffelschalen und Haushaltspapier, Windeln und Kaffeesatz. Da lag sie! Ein rot gekleideter Weihnachtsmann, triefend von Fischsoße. »Erinnerst du dich an Weihnachten 1986? Dein für immer, Patrik«, stand darauf. Krister hätte so eine Karte niemals in den Müll geworfen. Er war der Ansicht, dass er den Sieg davongetragen hatte, und fühlte sich nicht bedroht, eher amüsiert. Aber die Schwiegermutter! Wenn Weihnachten erst vorbei war, musste sie eine Aussprache mit Schwiegermutter haben, ob Krister nun wollte oder nicht. Das war klar! Das Ganze wurde langsam unerträglich! »Die Hafergarben, die wir Weihnachten aufhängen, haben auch ihre Geschichte. Früher dachte man, die Toten kämen und würden in der Weihnachtsnacht ihre Angehörigen auf den Höfen besuchen. Sie kamen im Vogelkostüm und mussten etwas zu essen haben. Manche Leute überließen ihnen in dieser Nacht ihre Betten und schliefen auf dem Fußboden, damit die Toten es bequem hätten. Der Weihnachtsgottesdienst der Toten fand demnach auch in dieser Nacht statt, in der Nacht vor Heiligabend. Es gibt viele verschiedene Überlieferungen über Menschen, die sich im Tag geirrt hatten und zum Weihnachtsgottesdienst der Toten in die Kirche kamen«, flüsterte der Professor mit hochdramatischer Stimme. Die Augen der Kinder waren rund wie Geldstücke. »Man ließ in dieser Nacht die Kerzen brennen und das Essen auf dem Tisch stehen.«
»Das war nicht für die Toten, sondern für die Wichtelmännchen«, widersprach Emil mit Nachdruck und sah Morgan herausfordernd an. Maria nickte dem Professor zu und verlangte Zustimmung. »Ja, genau, das waren ja die Wichtelmännchen. Schon im achten Jahrhundert wurde man mit einer Buße bestraft, wenn man zu Weihnachten nicht genug Bier gebraut hatte. Dieses Gesetz hat der norwegische König Håkan der Gute erlassen«, fuhr Morgan fort und schielte durstig zu Krister hinüber. »Hier halten wir uns an die Gesetze, ich habe natürlich kaltes Bier im Kühlschrank, wenn jemand Lust darauf hat.« Während Maria die aufgeregten Kinder ins Bett brachte und ihnen versprach, dass keine toten Vögel angeflogen kommen würden, erzählte der Professor weiter unheimliche Geschichten, Berit und Krister ermunterten ihn noch dazu. Als Maria wieder ins Zimmer kam, sprach er von Odin, dem Gott der Gehängten und Herrscher des Galgens. Maria versuchte zuzuhören, ohne sich ihr Interesse allzu sehr anmerken zu lassen. »Odin musste eines seiner Augen in Mimirs Brunnen opfern, um in die Zukunft sehen zu können. Wie ein Vogel konnte er seine Seele aussenden, um Unglück oder Glück zu bringen oder die Zukunft vorauszusagen. Jeden Tag flogen seine Raben Hugin und Munin, der Gedanke und das Gedächtnis, in die Welt hinaus und sammelten Wissen für ihren Herrn. An den Wurzeln der Weltesche Yggdrasil gab es einen Brunnen, zu dem Odin ging, um sich Rat zu holen. Dort war das abgeschlagene Haupt Mimirs, das Odin im Brunnen aufbewahrte, um Anleitung in magischen Fragen zu bekommen.«
»Ein abgeschlagener Kopf, wie makaber«, fand Berit und wischte den Schaum von ihrem Bier. Morgan nickte zufrieden. »Bei Ragnarök findet Odin seinen Untergang durch Lokis Nachkommen, den Fenriswolf, der die Sonne verschlingt und Odin im Streit tötet. Durch seine Vereinigung mit der Riesenfrau Angerboda verlagerte Loki alles Böse in die Welt der Asen.«
»Warum erlaubte man ihm denn, sich in Asgard aufzuhalten?«, wollte Berit wissen. Der Professor lächelte zufrieden, hier hatte er eine aufmerksame Zuhörerin. »Odin und Loki hatten ihr Blut vermischt und Blutsbrüderschaft geschlossen. Das gab Loki das Recht, von all dem Guten zu nehmen, das es in Asgard gab. Die Tochter Hel, die das Totenreich bewachte, war zu Hälfte blau verwest und zur Hälfte fleischfarben rot. Zu ihr kamen diejenigen, die an Krankheiten oder als alte Menschen gestorben waren. Die mutigen Krieger, die im Kampf gefallen waren, kamen nach Walhall oder nach Folkwang in Freyjas Palast. Es war eigentlich keine Strafe, ins Reich der Toten, nach Nifelhel, zu kommen. Schuld und Strafe kamen erst mit dem Christentum auf. In Hels Reich zu kommen war nur eine Fortsetzung des armseligen Lebens in Hunger und Elend in Midgard. Éljúdnir, ›die Regennasse‹, heißt ihr Saal, ›Hunger‹ ihre Schüssel, ›Esslust‹ ihr Messer, ›Fußlahm‹ ihr Sklave und
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