Und die Goetter schweigen
sich noch eine Tasse Kaffee zu holen. Hartman lächelte breit und freundlich.
»Auf dem Arm eingeschlafen, kann ich mir vorstellen.«
»Linda ist krank. Ich habe die ganze Nacht Erbrochenes aufgewischt. Sie hat auch Fieber.«
»Ich kann mich gut erinnern, wie das damals war. Harte Nächte und harte Tage. Man schlief im Stehen ein. Soll ich dir etwas Kaffee eingießen?« Am Fenstertisch saßen Sturm, Arvidsson und Ek. Widerwillig ließ Maria sich neben dem Chef nieder und starrte auf den Weihnachtsstern, der halb vertrocknet die Blätter hängen ließ. Maria hatte die Blumen in der vorigen Woche gegossen. Jetzt war wirklich mal jemand anders dran. Komisch war nur, dass von den anderen keiner die Topfblumen zu sehen schien. Wer weiß, vielleicht existierten sie nur in ihrer Phantasie, als Sinnbild für mangelhafte Arbeitsaufteilung und klare Regeln. Nein, Hartman sah sie. Er hatte die Blumen tatsächlich einmal begossen, als sein Kaffee kalt geworden war, weil das Telefon geklingelt hatte. Sicher hatte damals der Rest Kaffee der kleinen Pflanze das Leben gerettet. Ek erzählte mit Finesse und großem Einfühlungsvermögen schmutzige Witze. Alles in der Hoffnung, den Jackpot einzuheimsen, der inzwischen auf 600 Kronen angewachsen war, nachdem Erika Lund ihnen auf die Schliche gekommen war und verlangt hatte, dabei sein zu dürfen. Arvidsson lachte geniert. Ihm fiel es schwer, sich in Damengesellschaft schlüpfrige Witze anzuhören, er genierte sich, obwohl er selbst ja gar nicht der Erzähler war. Hartman lachte so, dass die Kuchenkrümel über den ganzen Tisch flogen, aber Sturm rührte sich nicht. Gab es überhaupt irgendetwas, das diesen Mann dazu bringen konnte, eine Miene zu verziehen? Arvidsson konterte, indem er davon erzählte, wie Ek die Kollegen zu einem Lebereintopf eingeladen hatte. Das war vor Sturms Zeit in Kronköping gewesen.
Ek war so stolz auf sein Werk gewesen: der Lebereintopf des Kalifen, so nannte er ihn. Er hatte eigenhändig die rohe Leber auf einem Reibeisen zu Hackfleisch verarbeitet, sodass ihm das Blut die Ärmel hinunterlief. Das war so viel Arbeit gewesen, dass er die Herrlichkeit über Nacht hatte stehen lassen, um am nächstfolgenden Sommertag weiterzumachen. Ausgezeichnetes Essen! Hatte er gesagt. Am Tag danach hatten fünf Leute von der Abteilung für Gewaltverbrechen mit schweren Magenproblemen im Bett gelegen, und denjenigen, die sich auf die Wache geschleppt hatten, konnte man kaum nachsagen, dass sie an diesem Tag gute Arbeit geleistet hatten. Da sprach Arvidsson aus eigener Erfahrung, und Hartman stimmte ihm mit allem Nachdruck zu. Sie hatten sogar Polizisten von der Schutzpolizei anfordern müssen. Das Zynische dabei war, dass Ek als Einziger unbeschadet davongekommen war. Darüber gab es viele Theorien. »Vielleicht verträgt sein Magen Bakterien, die niemals in der Nähe einer anständigen Küche vorkommen«, mutmaßte Hartman. Ek sah aus, als hätte er ein Kompliment eingeheimst, aber Sturm rührte sich nicht. Arvidsson war enttäuscht. Er hatte Sturm lange Zeit beobachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass Schadenfreude der sicherste Weg zum Jackpot war.
An der Tür zu Marias Arbeitszimmer klopfte es. Bevor sie »Herein!« rufen konnte, wurde die Tür geöffnet, und Stina Ohlsson trat in neuem dramatischem Outfit ein. Das Haar war kurz geschnitten und rot gefärbt. Das weiße Spitzenkleid war mit einem hoffnungslos schlecht sitzenden langen Kleid mit Leopardenfellmuster vertauscht worden, das nichts von der stattlichen Figur verbarg. »Sie haben nach mir gefragt?«, erkundigte sich der Kirschenmund. »Ja, kommen Sie und setzen Sie sich. Da sind ein paar Dinge, die ich von Ihnen wissen will.« Stina ließ sich nieder und beugte sich vertraulich vornüber, so als wären sie von Kindesbeinen an Freundinnen. »Ich verstehe, dass es Ihnen im Augenblick nicht besonders gut geht. Trotzdem habe ich paar Fragen an Sie.« Stina nickte entgegenkommend. »Wissen Sie etwas über die wirtschaftlichen Verhältnisse von Dick Wallström? Hatte er ein Testament?«
»Ich kann Ihnen sagen, Maria«, Stina legte ihre Hand auf Marias Arm und sah der Polizeiassistentin tief in die Augen. »Ich kann Ihnen sagen, Dick war so ein richtiger Hypochonder. Wenn er nicht Aids hatte, dann war es Ebola oder Lungenkrebs. Vielleicht war das ein Zeichen von Schuldgefühlen, was weiß ich. Ständig redete er davon, dass er sich todkrank fühle, dass die Zeit knapp sei. Das fing an, als er Kontakt zu einem
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