Und die Goetter schweigen
Dicks Wohnung und alle seine Sachen haben soll. Wir waren ein Paar, Dick und ich. Auch wenn jeder seine eigene Wohnung hatte, waren wir doch zusammen. In Dicks Wohnung gibt es bestimmt noch Sachen, die mir gehören. Soll ich etwa zu diesem jungen Ding gehen und darum bitten und betteln, dass ich reinkommen und mein Zeug holen darf?« Die leicht hervorstehenden Vorderzähne gruben sich in die Unterlippe. Ein wütendes Rot breitete sich auf Stina Ohlssons Gesicht aus. »Und die Fotoalben. Sie soll auf keinen Fall die Fotoalben haben. Das ist eine Sache zwischen Dick und mir.«
Als die Tür nach dem Besuch ins Schloss gefallen war, sank Maria über dem Schreibtisch zusammen, den Kopf auf die Arme gelegt. Sie war so müde, dass es am ganzen Körper kribbelte. Mit der Hand auf die Tischplatte gestützt, stand sie auf, um sich mehr Kaffee zu holen. Auf halbem Weg zur Tür blieb sie stehen. Das Telefon klingelte. Es war Berit, die Nachbarin. »Ich hab deine Schwiegermutter und die Kinder auf dem Weg zum Laden getroffen. Ach, wie sie zog und sich abmühte, die alte Dame. Emil wollte absolut nicht mit, er wollte das Kinderprogramm im Fernsehen angucken«, lachte Berit. »Krister und die Kinder werden ja wohl nicht mit nach Uppsala fahren, denn Linda ist doch krank, das sagte deine Schwiegermutter auf jeden Fall zur Kassiererin. Ich wollte mal fragen, ob du trotzdem fährst?« Maria rieb sich mit der Faust die Augen. Daran hatte sie nicht gedacht. Merkwürdig, dass die Schwiegermutter und die Kassiererin die Angelegenheit geklärt hatten, ehe sie, die Mutter der Kinder, überhaupt auf den Gedanken gekommen war. »Ja, ich muss wohl.«
»Würde das sehr frech klingen, wenn ich dich bitte, dass du mich mitnimmst? Ich hab kürzlich erfahren, dass eine meiner besten Freundinnen aus der Gymnasiumszeit eine Gehirnblutung hat. Sie wohnt ganz in der Nähe von Uppsala. Ich habe versucht, ihr zu schreiben, aber sie hat nicht geantwortet. Vielleicht geht es ihr so schlecht, dass sie nicht schreiben kann. Wo ich nun nicht zu meiner Schwester nach Brasilien fahre, wäre es doch nicht schlecht, über die Feiertage … ach übrigens, dieser Professor – ist der Junggeselle? Das ist ja ein richtig netter Kerl!«
»Ja, er ist frei, soviel ich weiß, Witwer. Er ist lieb, aber zeitweise hoffnungslos zerstreut. Und ist er nicht ein bisschen zu alt für dich?« Berit kicherte leise. »Wer weiß?«
12
Maria legte die Beine auf einen Hocker und lehnte sich im Halbschlaf zurück. Sie hatte ihren mitgebrachten Salat aufgegessen und war zufrieden. Wie leicht nimmt man doch zu, wenn die Weihnachtstafel von Kalorien überquillt. Danach kommen dann die Tage mit der »krankhaften Blässe des Nachsinnens«, wenn die Hosen nicht über die Schenkel wollen und der Hosenschlitz nicht mehr zugeht. Ein Salat zur Abwechslung war erfrischend. Heute hätten sie eine Runde Landbandy gespielt, wenn es ruhig gewesen wäre. So aber musste man dankbar sein, wenn man während der Ermittlungen eine Viertelstunde Pause machen konnte. Maria ließ sich in einen Ruhezustand sinken, alle die bekannten Geräusche vereinigten sich zu einem gleichmäßigen leisen Brausen. Der Körper wurde schwerer und schwerer. Die Wirklichkeit entließ die Gedanken aus ihrem harten Griff. Das Unterbewusstsein ging seine eigenen Wege und schlug Kapriolen. Etwas berührte leicht die Wange, ein Streicheln. Maria schlug die Augen hellwach auf. Arvidsson stand an der Spüle mit dem Rücken zum Zimmer. Ein schneller Blick auf die Uhr, und Maria begriff, dass sie richtig weg gewesen war. Zu dem Verhör mit Kent Asps Bruder Erik, der am Vormittag aus Malmö gekommen war, kam sie eine halbe Stunde zu spät. Es war nicht Marias Stil, Leute warten zu lassen. Das hier war einfach ärgerlich. Sie eilte auf die Toilette und fuhr sich mit dem Kamm durch die Haare. Auf den Wangen war das gleiche Muster zu sehen, das auch die Sessel hatten. Die Augen waren klein, und die Wimperntusche hatte die Wangen verschmiert. Auf dem hellgrünen Sofa in der Eingangshalle saßen Erik Asp und Anneli Berggren. Erik hielt Anneli im Arm, sie lächelte ihn an. Sie sahen verliebt aus, stellte Maria fest. Erik Asp sah aus wie eine etwas kleinere Kopie seines Bruders, mit dunklem lockigen Haar und tief liegenden blauen Augen. Die Körperhaltung strahlte Ruhe und Sicherheit aus. Die Hände waren hübsch und gepflegt, ohne Ring. Er lächelte Anneli höflich zu, es fiel ihm schwer, sie aus den Augen zu lassen, trotzdem folgte er
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