Und die Goetter schweigen
überprüft und ausgewertet werden. Gab es eine Reihe von Übereinstimmungen, dann konnte es der gleiche Täter wie in Kronköping sein. Wenn Stina Ohlsson in Frage kam, musste sie einen Helfer gehabt haben. Grund dazu, wütend auf Dick Wallström zu sein, hatte sie jedenfalls mehr als genug, überlegte Maria, während sie schnell und leise ihre Sachen in den kleinen Wochenendkoffer packte. Den hatte sie voriges Jahr an Ostern von Krister geschenkt bekommen, als er sie mit einer Paris-Reise überrascht hatte. Sie waren dann doch nicht nach Paris gefahren. Schwiegermutter hatte Herzbeschwerden bekommen, und sie hatten Ostern gefeiert wie in jedem Jahr, ganz traditionell bei Kristers Eltern. Nach Ostern waren Schwiegermutters Schmerzen in der Brust wie durch ein Wunder von selbst verflogen. Maria zog die Schublade mit der Unterwäsche und den Nachthemden auf. Sie wühlte alles durch, fand aber nicht, was sie suchte. Das seidene Nachthemd war weg! Das war doch unmöglich! Maria war sich ganz sicher, dass sie es im Seidenpapier zuoberst in die Schublade gelegt hatte. Sie weckte Krister, der zum Spaß den Kopf mit den Armen schützte, so als ob er weiteren Streit erwartete. »Hast du das Nachthemd gesehen, das du mir zu Weihnachten geschenkt hast?«
»Nein, aber ich würde es gern jetzt sehen, wenn du als Model auftreten willst.«
»Ich meine es ernst! Es ist verschwunden! War deine Mutter noch im Haus, als du zu Morgan gegangen bist?«
»Ich glaube schon. Sie suchte überall nach Anziehsachen für Linda, und dann hat sie im Schlafzimmer die Vorhänge ausgetauscht, glaube ich.« Maria starrte betrübt auf die geblümte Nylonpracht, die vor dem Schlafzimmerfenster hing. »Du glaubst doch wohl nicht, dass sie das Nachthemd mitgenommen hat? Doch nicht Mama! Was sollte sie denn damit anfangen? Jetzt machst du dich aber lächerlich, Maria!«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Es ist jedenfalls weg!«
Der Winter hatte mit aller Macht eingesetzt. Das Thermometer im Küchenfenster zeigte minus 14 Grad, aber die Straßen waren geräumt und frei trotz des Schneefalls am Heiligen Abend. Maria zitterte in ihrem Auto vor Berits Wohnung. Warum kam sie nicht? Hatte sie sich in der Zeit geirrt? Gereizt lief Maria mit schnellen Schritten die Treppe hoch und klingelte. Keine Reaktion. Die Klingel war vielleicht kaputt. Maria hämmerte mit der Faust an die Tür. Aus der Wohnung war kein Laut zu hören. Vorsichtig wurde die Tür gegenüber einen Spaltbreit geöffnet. Eine Nase und zwei runde Augen wurden sichtbar. Im Hintergrund knurrte Ediths Schäferhund. »Sie hat heute Nacht nicht hier geschlafen«, lispelte die Nachbarsfrau und trat neugierig ein paar Schritte ins Treppenhaus. Dann war es eben nichts. Maria konnte nicht den ganzen Morgen hier stehen und warten. Sie startete den Motor und fuhr zum Hotel, wo Morgan Höglund abgeholt werden sollte. Sie stellte das Radio an, um die Nachrichten zu hören. Während der Nacht war eine selbst gebastelte Bombe in der Genossenschaftsschlachterei detoniert. Der ganze Bürotrakt war ausgebrannt, Menschen waren nicht zu Schaden gekommen. An eine Giebelseite hatte jemand mit roter Farbe »Mörder – Tierquäler« gesprayt. Man spekulierte über einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden im Kronwald und der nächtlichen Attacke. Die Polizei war zu einem Kommentar vorerst nicht bereit. Der Reporter hatte seine eigene Auffassung von militanten Veganern und der Fleischindustrie. Jedermann musste doch verstehen, was da los war, auch die Polizei müsste mal langsam das eine oder andere begreifen, meinte er. Ganz bewusst hatte Sturm Informationen über die toten Tiere und die anderen rituellen Details nicht an die Öffentlichkeit gegeben. Die Aufregung, die die Morde selbst in der Bevölkerung verursachten, genügte völlig, ohne dass die Telefone von beunruhigten Kleintierhaltern blockiert wurden.
Auf der Treppe des Hotels leuchtete der senfgelbe Mantel von Professor Höglund wie eine vergessene kleine Sonne im Reich der winterlichen Dunkelheit. Maria seufzte erleichtert. Dem Professor hatte sie jedenfalls die richtige Zeit genannt. Neben Morgan stand eine Dame in grauem Kostüm. Erst als Maria den Wagen geparkt hatte und ausgestiegen war, erkannte sie Berit. »Ich habe mir gedacht, es sei einfacher für dich, uns beide an der gleichen Stelle abzuholen«, sagte Berit und lächelte ein Mona-Lisa-Lächeln. Das Gesicht des Professors war unergründlich. Beide setzten sich ganz
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