Und die Großen lässt man laufen
Nummer des südlichen Polizeihauses wählte.
»Ja«, sagte Kollberg.
Gunvald berichtete über das, was er in Erfahrung gebracht hatte, ohne allerdings die Quelle zu nennen.
»Sehr gut, Larsson«, sagte Kollberg. »Es sieht also so aus, als möchte er sich aus dem Staub machen.«
»Vermutlich hat er es schon getan.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Kollberg. »Diese Reisetasche, von der ich vorhin sprach, steht nämlich immer noch in seinem Büro in der Kungsgatan. Ich habe gerade seine Sekretärin angerufen, und sie sagte, daß Broberg sie vor einer halben Stunde angerufen und gesagt habe, daß er es nicht schaffen werde, vor fünf im Büro zu sein.«
»Er wohnt natürlich in irgendeinem Hotel«, sagte Gunvald Larsson nachdenklich.
»Vermutlich. Ich werde versuchen, das herauszubekommen. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß er sich unter seinem richtigen Namen eingetragen hat.«
»Kaum«, sagte Gunvald Larsson. »Hast du übrigens diese Puppe ausfindig gemacht?«
»Noch nicht. Ich warte gerade auf Nachricht vom Sittlichkeitsdezernat.« Er verstummte. Nach einer Weile sagte er seufzend: »Diese Kiste ist wirklich zu verfahren. Wenn ich es selbst nicht schaffe, vor fünf in der Kungsgatan zu sein, könntest du oder irgend jemand sonst dafür sorgen, daß Brobergs elendes Wuchererbüro unter Kontrolle bleibt?«
Wäre Gunvald Larsson einer unmittelbaren Eingebung gefolgt, hätte er atürlich abgelehnt. Er nahm den Brieföffner in die Hand und steckte ihn nachdenklich zwischen seine großen Vorderzähne.
»Ja«, sagte er schließlich. »Ich werde das erledigen.«
»Danke.«
Bedanke dich lieber bei meiner geliebten Schwester, dachte Gunvald Larsson. Dann sagte er: »Noch etwas.«
»Was denn?«
»Dieser Typ Broberg saß doch am Mittwoch mit Palmgren am Tisch, als der erschossen wurde.«
»Ja, und?«
»Wie, zum Teufel, kann er dann etwas mit dem Mord zu tun haben?«
»Da darfst du mich nicht fragen«, sagte Kollberg. »Die ganze Geschichte ist mehr als mysteriös. Martin weiß vielleicht mehr.«
»Beck«, sagte Gunvald Larsson unwillig. Damit war das Gespräch beendet.
14
Lennart Kollberg mußte mehr als eine Stunde auf Nachricht vom Sittlichkeitsdezernat warten. Unterdessen hockte er schwer und passiv und verschwitzt an seinem Schreibtisch in Västberga. Was am frühen Morgen wie ein einfacher Botendienst ausgesehen hatte, nämlich die Befragung zweier Zeugen, hatte sich auf merkwürdige Art zu einer reinen Jagd entwickelt.
Plötzlich waren Hampus Broberg und die rätselhafte Helena Hansson zwei Personen, nach denen gefahndet wurde, und er selbst saß mitten im Fahndungsnetz wie eine ratlose Kreuzspinne. Bemerkenswert war nur, daß er noch immer nicht wußte, warum er diese beiden Menschen suchte. Es lag nichts gegen sie vor; kein Mensch hatte Anzeige gegen sie erstattet, als Zeugen hatte man sie schon vernommen, nämlich in Malmö, und der gesunde Menschenverstand schien darauf hinzudeuten, daß keiner von beiden irgendwie mit dem Mord an Viktor Palmgren in Verbindung gebracht werden konnte. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, daß es wichtig war, die beiden so schnell wie möglich zu erwischen. Warum?
Da spielt dir wieder mal deine Polizistenseele einen Streich, dachte er düster. Dreiundzwanzig Dienstjahre haben dich zerstört und einen anderen Menschen aus dir gemacht. Du kannst nicht mehr denken wie ein normaler Bürger.
Dreiundzwanzig Jahre täglichen Umgangs mit anderen Polizisten hatten bewirkt, daß er nicht mehr imstande war, mit der Umwelt vernünftige Beziehungen aufrechtzuerhalten. Nicht einmal im Kreis seiner Familie hatte er je das Gefühl gehabt, wirklich dienstfrei zu haben. Immer gab es irgend etwas was im Unterbewußtsein unablässig arbeitete. Er hatte lange damit gewartet, diese Familie zu gründen, und der Grund dafür war, daß der Beruf des Polizeibeamten kein normaler Job ist, sondern etwas, dem man sich ausliefert und von dem man sich offensichtlich nie lösen kann. Ein Beruf, in dem man Tag für Tag fast nur in abnormen Situationen mit anderen Menschen in Berührung kommt, kann eigentlich zu nichts anderem führen, als daß man selbst eines Tages abnorm wird.
Im Gegensatz zu der überwältigenden Mehrheit seiner Kollegen war Kollberg in der Lage, seine eigene Situation zu durchschauen und klar zu analysieren. Und das tat er mit verblüffender Hellsichtigkeit. Leider. Sein Problem lag darin, daß er ein sinnlicher und ein Pflichtmensch zugleich war, und das in einem
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