Und die Hölle folgte ihm nach
Genugtuung die gefüllten Regale. »Ich habe ja gesagt, unser Bücherschatz macht mich stolz. Wir hatten eine glückliche Hand bei unseren Sammlungen.« Er wies auf ein bestimmtes Regal. »Einer der früheren Bibliothekare stammte aus der Gegend hier und hat sich auf das Sammeln alter Werke von Schriftstellern aus der Umgebung spezialisiert – Paetus, der stoische Philosoph aus Patavium, Dichter und Essayisten wie Varus, Catull, Catius, Pomponius … In früheren Zeiten lebten auch hier hochgebildete Männer. Und es waren beleibe nicht nur Römer.«
»Du meinst, auch Langobarden waren darunter?«, fragte Fidelma, obwohl es sie kaum interessierte.
»Die Langobarden haben sich hier erst vor einem Jahrhundert angesiedelt. Die ursprünglichen Bewohner waren Gallier. Dann eroberten römische Legionen das Gebiet, und das wiederum geschah hundert Jahre vor Christi Geburt. Doch von den Galliern findet sich hin und wieder ein Beleg ihrer Sprache.«
»Du meinst, sie schrieben in ihrer eigenen Sprache?«
»Es muss von der Lehre der Priester, der Druiden, verbotengewesen sein, sich über ihr geheimes Wissen schriftliche Aufzeichnungen in der eigenen Sprache zu machen. Deshalb schrieben sie meist in Latein, und wir haben viel über sie erfahren, aber es gibt noch einige Originalinschriften und Namen von Orten, die ihre Muttersprache verraten.«
Fidelma fand, es war Zeit zu gehen, schließlich war sie noch weiteren Rätseln auf der Spur. Das Verschwinden der Freifrau Gunora und des jungen Prinzen ließ ihr keine Ruhe. Auch wollte sie Bruder Ruadán noch einmal aufsuchen, vielleicht konnte sie von dem alten gebrechlichen Mann doch noch das eine oder andere erfahren. Sie erhob sich also, dankte dem Bibliothekar für das anregende Gespräch und verließ ihn. Den Weg zurück durch den Turm über den kleinen Hof, dann den dunklen Gang entlang zur Haupthalle fand sie ohne Schwierigkeiten. Ein- oder zweimal bedachten sie fromme Brüder mit scharfen Blicken und erinnerten sie daran, dass sie sich nicht in einem gemischten Haus befand und dass es Frauen untersagt war, sich ohne Begleitung in den Gemäuern zu bewegen. Sie setzte sich darüber hinweg und ignorierte auch das Getuschel hinter ihr.
Sie gelangte zum Gästehaus und stand schon bald vor der Tür ihrer Kammer. Gerade wollte sie hineingehen, als sie auf dem Gang Bewegung vernahm. Es war Bruder Wulfila, der aus dem Raum kam, den man ursprünglich Freifrau Gunora und ihrem königlichen Schützling zugewiesen hatte. Sie hielt es für das Gescheiteste, Ahnungslosigkeit vorzutäuschen und ihn mit einer unschuldigen Bemerkung zu konfrontieren.
»Ich habe Freifrau Gunora heute noch gar nicht gesehen. Ich hoffe doch, sie ist wohlauf?«
Ein leicht beunruhigter Ausdruck huschte über das Gesicht des Verwalters. »Kein Grund zur Sorge, Schwester.«
»Dann ist sie wohl in ihrer Kammer? Großartig, ich möchte ihr einen Besuch abstatten.«
Zögernd schob sich Bruder Wulfila vor die Tür, als wollte er ihr den Zugang versperren, entschied sich aber gleich darauf anders. »Sie ist nicht hier«, teilte er ihr mit.
Fidelma erwiderte nichts. Sie hatte den Eindruck, er überlegte, ob er dem noch etwas hinzufügen sollte. »Ich glaube, sie und der junge Prinz haben die Abtei verlassen«, rückte er schließlich mit der Sprache heraus.
Fidelma zog die Augenbrauen hoch. »Die Abtei verlassen? Hieß es nicht, außerhalb der Mauern drohe ihnen Gefahr?«
»Ich bin sicher, der Vater Abt weiß, was er tut«, murmelte der Verwalter.
»Das heißt, sie sind mit Zustimmung von Abt Servillius gegangen?«
»Mich darüber zu äußern, steht mir nicht zu.« Bruder Wulfila war deutlich erregt. Er drehte sich um und hastete davon.
Fidelma starrte ihm nach. Wenn einer wusste, warum und wie Freifrau Gunora und der Junge die Abtei verlassen hatten, dann hätte just er es sein müssen, der sich ja die ganze Nacht über im Gang aufgehalten hatte.
Sie ging in ihr Zimmer und machte sich frisch. Eine Glocke begann zu läuten, doch es konnte unmöglich sein, dass sie die Brüder zum Essen rief. Fidelma schaute hinaus und erfuhr von einem der vorbeieilenden Mönche, dass es zur Mittagsandacht läutete. Rasch war Ruhe eingezogen, und sie dachte, dies wäre die ideale Zeit, Bruder Ruadán aufzusuchen. Vielleicht war er ja in der Lage, ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Sie machte sich auf den Weg, doch kaum bog sie um die Ecke zu seiner Kammer, stand plötzlich der Apotheker vor ihr.
»Ah, Schwester Fidelma«,
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