Und eines Tages kommt das Glück
Augen, sodass sie nicht viel davon mitbekam, wie ringsum das Leben in dieser Stadt pulsierte. Als das Taxi vor ihrem Haus hielt, drückte sie dem Fahrer viel zu viel Trinkgeld in die Hand und stolperte in das Marmorfoyer. Der Nachtportier kam hinter seinem Schreibtisch hervor und ergriff ihren Arm, bevor er sie zum Aufzug führte und dort auf den Knopf für das zehnte Stockwerk drückte. Einerseits war es Kathryn peinlich, dass er sie so betrunken sah, andererseits
sagte sie sich, dass er sicher daran gewöhnt war, die Bewohner dieses Hauses in diesem Zustand zu sehen. Nur sie nicht. Normalerweise. Stöhnend betrachtete Kathryn ihr Spiegelbild an der Wand des Fahrstuhls.
Ihre Haare sahen grauenvoll aus. Das Fixiergel, das sie benutzt hatte, um sich zu stylen, hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst, und jetzt klebten ihr die Strähnen platt an der Kopfhaut. Die Wimperntusche war verschmiert, und sie hatte schwarze Ringe unter den Augen, schwarz wie ihr teures Kleid, das jedoch nicht so recht in den Nachtclub gepasst hatte, da es viel zu wenig Haut zeigte, auch wenn es kürzer war als alles andere, was Kathryn normalerweise trug. Ich habe einen Fehler gemacht, dachte sie, als sie aus dem Aufzug stieg, einen Riesenfehler. Bravo, mach nur weiter so! Ein Fehler mehr oder weniger, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Aber eigentlich wollte sie nicht so sein.
Dieses Mal schaffte sie es im ersten Anlauf, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und aufzusperren. Kaum in der Wohnung, schlüpfte sie aus den hochhackigen Schuhen und tappte barfuß über den Parkettboden. Seltsam, dachte sie, wie schnell es doch geht, sich wieder in den Griff zu bekommen. Ihr Kopf hämmerte zwar mittlerweile heftig, aber die Benommenheit machte ihr kaum mehr zu schaffen. Kathryn blinzelte ein paarmal, bis ihre Augen sich an das schwache Licht in dem dunklen Wohnzimmer gewöhnt hatten, ehe sie in die Küche weiterging und sich dort ein großes Glas Wasser eingoss. Wenn sie zu viel Alkohol getrunken hatte, war Wasser ihre einzige Rettung, und zwar mindestens ein halber Liter vor dem Zubettgehen. Dann wäre sie morgens beim Aufwachen wenigstens kein totales Wrack und würde fast normal funktionieren, auch wenn ihr der Schädel noch ein wenig brummte.
Kathryn drückte die Stirn an die weiß gekachelte Wand. Sich zu betrinken machte die Sache nicht besser, das wusste sie. Im Gegenteil, es machte sogar alles noch schlimmer. Und gerade jetzt
benötigte sie dringend einen klaren Verstand. Sie musste wissen, was sie tat und warum. Zu trinken, um die Probleme zu überspielen, war schwach. Und sie war kein schwacher Mensch. Bei dem Gedanken musste Kathryn schlucken.
Was bildete sie sich eigentlich ein? Sie ließ es zu, dass die Situation aus dem Ruder lief, und wenn das nicht schwach war, was dann? Sie war unsicher, was ihre Ehe betraf, und hatte Angst, sich damit auseinanderzusetzen. Das war schwach und unfähig. Genau so reagierten manche ihrer Kunden. Sie steckten den Kopf in den Sand. Immer wieder wies sie sie daraufhin, dass es das Wichtigste war, sich der Realität zu stellen. Das war natürlich leichter gesagt als getan.
Es war so ruhig in der Wohnung, dass Kathryn dachte, sie wäre noch vor Alan nach Hause gekommen. Als sie ihm von dem gemeinsamen Nachtclubbesuch mit ihren Kollegen erzählt hatte, hatte Alan zuerst die Stirn gerunzelt, aber dann (zu ihrer Überraschung) gelächelt und gemeint, das gehe in Ordnung, da er auch eine Verabredung zum Essen habe. Sie solle ruhig in diesen Club gehen und sich amüsieren. Doch ganz überzeugt, dass er es auch ehrlich meinte, war Kathryn nicht. Und deswegen hatte sie sich fest vorgenommen, früher zu Hause zu sein, damit er nicht auf die Idee käme, sie würde mit Absicht so lange wegbleiben. Auch wenn das ein Grund dafür gewesen war, warum sie überhaupt gegangen war.
Das ist alles so lächerlich, dachte sie, während sie das Glas Wasser trank. Ich sollte mich hinsetzen und mit Alan darüber reden, statt zu versuchen, jede seiner Äußerungen fünfmal zu hinterfragen. Ich sollte ihm klarmachen, dass wir die Sache wie zwei vernünftige Erwachsene besprechen müssen. Es geht doch schließlich nur darum, einander Grenzen zu setzen und herauszufinden, was in unserer Ehe für den anderen akzeptabel ist und was nicht. So schlimm kann das doch nicht sein, oder?
Kathryn seufzte. Es steckte mehr dahinter, und sie wusste es.
Das Machtgefüge in ihrer Ehe hatte sich dramatisch verschoben, und es war
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