UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
nannte. Was er brauchte, war die Lebendigkeit und Leichtigkeit, die er erst ein einziges Mal erlebt hatte – mit Rosa.
Über dem Meer zog eine Möwe ihre Kreise. Sie glitt so ruhig dahin, als würde sie von einer unsichtbaren Schnur durch die Lüfte gezogen. Es erinnerte ihn an das erste Mal, als er einen Drachen hatte steigen lassen. Gemeinsam mit Rosa. Mit ihr hatte er vieles zum ersten Mal erlebt. Seinen ersten Barsch am Sund geangelt. Das erste Mal ein Segelboot alleine gelenkt und so schnell über die Wellen geflogen, dass es ihm beinahe den Atem geraubt hatte. Und sie war auch das erste Mädchen, das er geküsst hatte.
Er wünschte, sie wäre auch die erste Frau gewesen, mit der er geschlafen hätte. Dass er sich ihr so unschuldig und glücklich hätte hingeben können, wie sie es getan hatte. Doch so war es nicht gewesen. Sogar damals, als er sie in die tiefste Tiefe seines Herzens gelassen hatte, war ein anderer Teil seiner selbst vor ihr auf der Flucht gewesen.
Nachdem er Rosa verlassen hatte, versuchte er ein paar Jahre lang alles, um sie zu vergessen. Er strengte sich richtig an – ging am College und während seines Wirtschaftsstudiums auf Partys, ließ sich volllaufen und tat so, als bemerke er es nicht, wenn eine kleine, dunkelhaarige Frau an ihm vorüberging oder er ein bestimmtes Lachen oder den typischen Rhode-Island-Dialekt hörte. Jetzt, da er sie wiedergesehen hatte, war ihm bewusst geworden, dass sie nach all den Jahren immer noch so unmittelbar zu ihm gehörte wie kein anderer Mensch zuvor. Und so war es vom allerersten Tag an gewesen.
Sie ausgerechnet zu einem Zeitpunkt zu verlassen, da sein Herz nichts anderes gewollt hatte, als sie zu lieben, war das Schwierigste gewesen, was er jemals getan hatte. Schwieriger noch, als sich den Geheimnissen seiner Familie zu stellen, und schwieriger, als seinen Vater davon zu überzeugen, dass er seinen eigenen Weg gehen musste.
Draußen am Meer kreuzte gerade ein kleines Segelboot einen langsam dahintuckernden Fischkutter. Es war merkwürdig hier an der Küste, dachte Alex. Die Zeit stand still, und nichts schien sich zu verändern. Abgesehen vom zerstörten Kutscherhaus war hier alles genauso wie damals, als er – zornig und traurig – weggegangen war. Er hatte sich geschworen, diesem Ort für immer den Rücken zu kehren.
Aber nun hatte ihn ein neuer trauriger Anlass gezwungen zurückzukommen.
Zehn Jahre war es her, dass er hier gesessen und den Wind und das Salz auf der Haut gespürt hatte. Zwei Jahre nach dem Unfall war Alex noch einmal zurückgekehrt, um alles zu erklären, doch es war zu spät gewesen. Er hatte nicht erwartet, dass Rosa auf ihn warten würde – und das hatte sie auch nicht getan. Sie hatte ihr Leben gelebt, und dazu hatte ein Freund gehört, der zufällig der damalige Hilfssheriff war.
Von da an hatte Alex jede nur erdenkliche Möglichkeit genutzt, die sich ihm durch seine Arbeit geboten hatte, um sich abzulenken. Ja, er hatte es zu einer wahren Meisterschaft darin gebracht, so zu tun, als wäre sein hektisches Leben ein erfülltes. Mit zäher Verbissenheit hatte er alles dafür getan, um nicht als ein Mann dazustehen, der die Frau, die er liebte, nicht bekommen konnte.
Er hatte sein Talent für alles, was mit Finanzen und Wirtschaft zu tun hatte und das ihm offenbar in die Wiege gelegt worden war, genutzt, war in die Firma der Familie eingetreten und dort zu einem der ganz Großen in der amerikanischen Investment-Branche geworden. Das Kapital, das er für seine Kunden anlegte, brachte Gewinne, die alle Erwartungen übertrafen. Innerhalb von zwei Jahren hatte Alex den Ruf eines über die Maßen erfolgreichen Finanzmanagers.
Komisch eigentlich, dachte Alex. Denn in Wahrheit machte er nichts anderes, als eins und eins zusammenzuzählen. Er hörte beispielsweise irgendwo, dass ein bestimmtes Protein, das Babynahrung beigefügt wurde, Kinder erwiesenermaßen klüger machte. Der Rest der Welt war dann überrascht, wenn die Aktien der Firma, die dieses Protein ihrer Nahrung zusetzte, plötzlich in die Höhe schossen. Alex nicht. Denn er informierte sich und vertraute auf seinen Instinkt. Er erinnerte sich an die hitzigen Diskussionen mit seinem Vater, in denen es um den Börsengang eines obskuren kleinen Jungunternehmens namens Amazon.com gegangen war. Niemand hatte je davon gehört. Drei Jahre später, als der Marktwert dieser Firma um 3800 Prozent gestiegen war, hatte sein Vater Alex den ersten Investmentfonds überlassen,
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