UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
Jenen Ort, wo er sich mit dem wunderbarsten Menschen, den er kannte, frei gefühlt hatte.
Obwohl der Rasen gemäht und die Hecken geschnitten waren, wirkte der Garten irgendwie vernachlässigt. Der Teich war mit Seerosen beinahe zugewachsen – wahrscheinlich waren tote Kois ein ausgezeichneter Dünger.
Am Ende des Gartens ragte ein halb entwurzelter Baumstumpf wie ein riesiger Knochen aus der Erde. Während eines Unwetters war der Baum auf den vorderen Teil des Kutscherhauses gefallen, in dem sich die Garage befand. Der Wohnbereich des Gebäudes war nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Da auch eine Stromleitung durch den Baum beschädigt worden war, hatte die örtliche Behörde angeordnet, dass der Baum beseitigt werden musste. Arbeiter vom Elektrizitätswerk hatten den Baum gefällt und die Äste und Zweige im Häcksler zerkleinert.
Abgesehen von dem Gebäude, für dessen Schaden die Versicherung aufkommen würde, war nur das alte Auto seiner Mutter kaputtgegangen. Der blaue Ford war seit mehr als zwölf Jahren nicht mehr benutzt worden. Jedes Jahr hatte seine Mutter angekündigt, das Kutscherhaus entrümpeln zu lassen, und jedes Jahr war nichts daraus geworden.
Mutter Natur hatte diesem Zustand nun also ein Ende bereitet und der Sheriff den alten Wagen auf den Schrottplatz schleppen lassen.
Es war seltsam, hier auf der Veranda des Sommerhauses zu sitzen, die voller Spinnweben und Erinnerungen an früher war. Während er sein Bier trank und zum Meer hinunterschaute, konnte Alex seine Mutter regelrecht hören, wie sie sich am Telefon mit den Architekten und Innendesignern, mit seinen Ärzten und den „Mädchen von der Schule“ unterhielt, wie sie diese Frauen nannte, egal, wie alt sie mittlerweile sein mochten. Er spürte ihre Hand über seine Stirn streicheln, wenn er nachts krank im Bett lag, was so ziemlich jede Nacht der Fall gewesen war.
Und dort drüben, wo es zum Strand hinunterging, war die Stelle, wo er zum ersten Mal Rosa Capoletti gesehen hatte. Die Freundschaft, die an jenem Tag begonnen hatte, war untrennbar mit dem Zauber von Sommer und Sonne verbunden gewesen und hatte sich im Laufe der Jahre in eine innige, leidenschaftliche Liebe verwandelt, um dann jäh mit Tränen und gegenseitigen Schuldzuweisungen zu enden.
Dass es so wehtun würde, sie wiederzusehen, hatte er nicht erwartet. Er war nicht darauf vorbereitet gewesen. Dabei hätte ihm klar sein müssen, dass alles, was zwischen ihnen gewesen war, nicht einfach verschwunden sein konnte. Es hatte nur irgendwo tief in ihm geschlummert, bis Rosas sonniges Lächeln es wieder geweckt hatte.
Er fühlte sich von dem Bier ganz leicht benebelt. Doch in ihm regte sich ganz vehement das Bedürfnis, alles, was passiert war, aufzuklären und in Ordnung zu bringen.
Leider schien Rosa – in Anbetracht ihres Verhaltens gestern – nicht mehr die gleichen Gefühle für ihn zu haben wie früher. Sie hatte ihn wie einen Gast behandelt, der ungebeten auf einer Hochzeit aufgetaucht war. Verdammt, er war zurück, und es war längst überfällig, alle Missverständnisse aufzuklären. Klar, am einfachsten wäre es, hier rasch alles mit dem Haus zu regeln und wieder zu verschwinden, doch es fühlte sich nicht richtig an. Der Tod seiner Mutter hatte ihn viel mehr erschüttert, als er erwartet hatte. Das Tragische an ihrem Ende, das, was am meisten wehtat, war die Tatsache, dass sie nie richtig gelebt hatte.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, hierher zurückzukommen, dachte Alex. Doch es fühlte sich nicht falsch an. Er hatte sich spontan entschieden, seine Wohnung, seine Freunde, ja, sein ganzes Leben in New York hinter sich zu lassen. Dazu kam, dass er sich das erste Mal in seinem ganzen beruflichen Leben dazu entschlossen hatte, sich den Sommer über freizunehmen. Seine Assistentin Gina Colombo würde sich in diesen Monaten um alles kümmern. Er hoffte nur, dass er die ungewohnte Auszeit überstehen würde, ohne durchzudrehen.
Aus der impulsiv getroffenen Entscheidung hatte sich in den letzten Tagen ein verrückter und gleichzeitig doch sehr realer Plan entwickelt. Er war in seinem Leben an einem Punkt angelangt, an dem er sich selbst nicht mehr leiden konnte. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben hatte er vernachlässigt und stattdessen einen Lifestyle gepflegt, der mit ihm selbst nicht mehr viel zu tun hatte. Nun musste er herausfinden, wer er war, wenn er nicht umgeben von seinen Bussi-Bussi-Bekannten und den Fremden war, die er seine Familie
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