UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
deswegen richtig nachgerannt.“
„Hey, mein Cioppino ist legendär.“
Köche …, dachte sie. Die richtig guten schienen alle mit ebenso viel Eitelkeit wie Talent gesegnet zu sein.
„Als Gericht, für das wir 27 Dollar verlangen, sollte es das auch sein.“
„Es liegt am Safran, dass es so teuer ist.“
Rosa winkte Lenny Carmichael zu, den sie seit der Grundschule kannte und der wie sein Vater Hummerfischer geworden war. In seinen hüfthohen gelben Stiefeln und mit der Red-Socks-Baseballkappe auf dem Kopf sah er genauso aus wie sein Dad. Rosa verdankte den Fischern von Galilee, die sie mit den Köstlichkeiten des Meeres belieferten, einen beträchtlichen Teil des Erfolgs ihres Restaurants. Wenn man den psychologischen Ratgebern in Taschenbuchform glaubte, von denen sie unzählige im Regal stehen hatte, versuchte Rosa mit dem Lokal unter anderem, ihre Mutter wieder lebendig zu machen. Als sie damals diese Diagnose gelesen hatte, hatte sie bloß den Kopf geschüttelt: „Tja, das ist einfach Quatsch. Ich weiß genau, was ich mache, und auch, warum ich es tue. Bin ich deshalb gleich ein Fall für die Klapsmühle?“
Gut, sie idealisierte also ihre Mutter. Na und? Als Mensch, der seit zwanzig Jahren ohne Mutter lebte, hatte sie doch jedes Recht zu glauben, dass Celesta Capoletti die beste Mutter war, die ein kleines Mädchen je gehabt hatte.
Sie überlegte, was die Selbsthilfebücher wohl bezüglich Alex’ Rückkehr raten würden. Die meisten Experten auf diesem Gebiet schienen der Meinung zu sein, dass man sich den unaufgearbeiteten Problemen aus der Vergangenheit stellen musste. Ihre beste Freundin Linda glaubte das auch. Rosa war sich nicht sicher, ob ihr die Vorstellung gefiel, sich noch einmal durch alten Liebeskummer durchwühlen zu müssen.
Ein störendes Geräusch holte sie in die Gegenwart zurück. Butch stand ein paar Meter vor ihr und klopfte übertrieben ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. „Okay, ich warte dann mal, bis du deine Gedanken fertig geordnet hast …“
„Wie bitte?“ Rasch stieg sie über ein paar Haufen Eis, auf denen Fisch gelagert war, und ging zu ihm.
„Du hörst mir gar nicht zu.“
„Doch, ich habe nachgedacht und zugehört.“
„Erzähl keinen Quatsch, Rosa.“
„Du hast gerade gesagt, dass …“ Sie guckte ihn gekränkt an. „Ich habe dich doch nicht ignoriert! Ich war nur gerade mit etwas anderem beschäftigt.“
„Womit denn?“
„Vielleicht stelle ich diesen Sommer einen Geschäftsführer ein.“
„Das sagst du jeden Sommer, also hat es nichts zu bedeuten. Du denkst an Alex Montgomery.“
„Nein, das tue ich nicht.“ Rosa und Butch wussten beide, dass das gelogen war. Alex Montgomery mit seinen dunklen blauen Augen, der seine Mutter auf tragischste Weise verloren hatte, ging ihr tatsächlich nicht aus dem Kopf. Selbst die Tatsache, dass er sich nach außen hin gefasst gab und sich in guter alter Montgomery-Manier nichts anmerken lassen wollte, konnte nicht über seinen Schmerz und seine Wut hinwegtäuschen. Vor ihm lag viel Trauerarbeit, doch er verweigerte sich diesem Prozess. Rosa merkte es ihm an – verstehen allerdings konnte sie es nicht. Warum ließ er nicht einfach alles heraus?
Sie tat so, als würde ihre ganze Aufmerksamkeit einem riesigen Kabeljau gelten, der auf Eis lagerte und sie mit weit geöffnetem Mund und glasigen Augen anstarrte. Doch bei seinem Anblick musste sie sofort an Sterben und Tod denken, und ihr fiel Mrs. Montgomery ein, die sich selbst das Leben genommen hatte. Die Mutter zu verlieren war schlimm genug. Zu erfahren, dass sie Selbstmord begangen hatte, verlieh dem Schmerz eine zusätzliche Dimension.
Rosa war es höchst peinlich gewesen, als Alex’ Vater und seine Schwester plötzlich aufgetaucht waren, und sie hatte so schnell wie möglich das Weite gesucht. Alex’ Familie war ihr all die Jahre immer ein Rätsel geblieben. In Anbetracht der Tragödie, die sich ereignet hatte, hoffte Rosa, dass sie einander trösteten, statt wie sonst aufeinander herumzuhacken. Die Familie war doch der sichere Hafen, wo man sich fallen lassen konnte. Aber bei den Montgomerys hatte sie das nie erlebt. Nicht einmal jetzt.
„Er ist übrigens wieder da“, sagte Butch. „Wusstest du das?“
Rosa bemühte sich, gleichgültig zu wirken, obwohl ihr Herz gerade einen Moment lang ausgesetzt hatte. Alex war vor zwei Wochen, drei Tagen, einer Stunde und zehn Minuten mit seiner Schwester und seinem Vater in die Stadt gefahren. „Nein,
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