UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
Hauses vollgestopft mit Stapeln alter Post, Lottoscheinen, abgelaufenen Gutscheinen und vielem mehr. Ihr Vater warf selten etwas weg. Der Papierkorb war randvoll mit Zeitungen. Paps war immer schon ein leidenschaftlicher Zeitungsleser gewesen. Auch auf seinem Computer gehörten mindestens ein Dutzend News-Seiten zu seinen Internet-Favoriten – die „International Herald Tribune“, die römische Tageszeitung „Il Mondo“, die „Washington Post“ und viele mehr.
Rosa fand die Fernbedienung hinter einem Couchkissen und schaltete den Ton ab.
„Hey, Paps.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du hast vergessen, die Haustür zuzusperren. Ich hätte ein Einbrecher sein können.“
„Ein Einbrecher würde nicht das Licht zur Begrüßung ein- und ausschalten.“
„Paps …“
„Okay, okay“, sagte er begütigend. „Ich werde besser aufpassen.“
Na klar … Doch Rosa hatte keine Lust, sich mit ihm zu streiten. „Rufst du gerade deine E-Mails ab?“
„Rob und Gloria haben mir gemailt.“ Er verschränkte die Hände, denen man ansah, dass er sein Leben lang hart mit ihnen gearbeitet hatte, und lehnte sich zurück. Man hätte meinen können, dass seine kräftigen Finger nicht ideal für das Tippen auf der Computertastatur waren, doch er war erstaunlich geschickt. Wegen seiner Taubheit kam ihm das Kommunizieren über das Internet sehr gelegen, und er mailte und chattete mit Begeisterung.
Für Rosa war das ein Geschenk des Himmels. Sie konnte ihm eine SMS auf sein Vibrationshandy oder eine schnelle E-Mail schicken, um zu sehen, ob er gerade online war, und dank der Technik mit ihm auf diese Weise genauso gut in Kontakt bleiben wie Kinder von hörenden Eltern.
„Was gibt es Neues bei Rob?“
„Dein Bruder und seine Frau sind den Sommer über auf Diego Garcia stationiert, und deshalb kommt Joey in dieser Zeit zu mir.“
Rosa war überrascht. Normalerweise wurden Rob und Gloria, die beide Unteroffiziere bei der Army waren, nicht zugleich an einen anderen Einsatzort geschickt, damit einer von ihnen immer zu Hause sein konnte. Der älteste Sohn der beiden war schon bei der Navy und in Bremerton, Washington, stationiert, und Mary-Celesta und Teresa-Celesta, die Zwillinge, verbrachten die Ferien in einem Austauschprogramm von Youth International. Joey, der Jüngste, musste jetzt vierzehn sein. Rosa hatte ihn seit mehr als zwei Jahren, als die Familie noch auf der Insel Guam gelebt hatte, nicht mehr gesehen,
„Ich frage mich, wie es kommt, dass beide zur gleichen Zeit nach Diego Garcia müssen?“
„Sie sind Patrioten, die ihrem Land dienen.“
„Ich wette, unser Land braucht Joeys Eltern nicht beide zur gleichen Zeit.“
„Schau dir die Welt an, in der wir leben.“ Er deutete auf die Zeitungen der letzten Woche, die sich auf dem Couchtisch stapelten. „Da können wir uns doch wenigstens um ihren Jungen kümmern.“
Rosa war nicht entgangen, dass ihr Vater wir gesagt hatte. „Schaffst du das, Paps?“, fragte sie ihn. „Den ganzen Sommer auf Joey aufpassen?“
„Klar, kein Problem. Er ist mein eigen Fleisch und Blut.“
„Aber früher haben sich doch Glorias Eltern immer um die Kinder gekümmert, oder?“
„Ja, aber das ist diesmal nicht möglich. Sie haben Probleme.“
Aha, Probleme, dachte Rosa. Wie zum Beispiel, den ganzen Sommer einen Teenager am Hals zu haben.
„Glorias Mutter hatte eine Unterleibsoperation“, erklärte Paps. „Ich habe nicht näher nachgefragt.“
Rosa hatte sofort ein schlechtes Gewissen, weil sie den Espositos – wenn auch nur in Gedanken – unterstellt hatte, sie würden ihren Enkelsohn nicht bei sich haben wollen. Soweit sie es beurteilen konnte, waren Glorias Eltern sehr nette, anständige Leute. Sie kannte sie allerdings nicht besonders gut, da die beiden in Chicago lebten.
„Wann kommt er denn?“, fragte sie.
„Übermorgen.“
Na, da hast du uns ja früh verständigt, Rob, dachte sie. „Ich fahre mit dir zum Flughafen, Paps.“
„Das ist doch nicht nötig.“
„Doch, ich hole ihn mit dir gemeinsam ab“, sagte sie energisch. Sie hatte gelernt, sich gar nicht erst auf Diskussionen mit ihm einzulassen.
Ihr Vater allerdings hatte auch etwas gelernt – und zwar, dass es sinnlos war, mit Rosa zu diskutieren. Er breitete die Hände aus und blickte gottergeben zur Decke. „Du bist ein ziemlich dominantes Mädchen, Rosa. Genauso wie deine Mutter.“
Rosa liebte es, mit ihrer Mutter verglichen zu werden. Und Paps wusste das genau. „Ich
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