UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
des Strandes gehabt – seltene Muscheln oder bunte Glasstückchen, die die Brandung glatt geschliffen hatte.
„Woran denkst du?“, fragte sie. Sobald sie es ausgesprochen hatte, kam ihr die Frage fast zu vertraulich vor.
„Hm, keine Ahnung. An gar nichts. Ich habe nur zugesehen, wie der Wind den Sand zu den Dünen weht.“
„Im Winter bläst der Wind in die andere Richtung.“
„Ich war im Winter noch nie hier.“
„Ich weiß.“
Dann herrschte wieder Schweigen, und nur das Rauschen der Wellen und das Geräusch von Sand und Steinen, die ans Ufer und dann wieder zurück ins Meer gespült wurden, war zu hören. Ein sanfter Windstoß blies ihnen fast zärtlich durchs Haar.
„Mein Vater wusste nicht recht, ob er Blumen schicken sollte“, sagte sie plötzlich. „Du weißt schon, Blumen oder …“
„Das war nicht nötig.“
„Es geht nicht darum, ob es nötig gewesen wäre oder nicht“, korrigierte sie ihn. „Er hat sich jahrelang um euer Anwesen gekümmert, und daher wollte er, glaube ich …“
„Hör auf damit, okay?“
Sein Ton war so scharf, dass sie zusammenzuckte. Wahrscheinlich war seine Gereiztheit auf den Schock zurückzuführen, den der plötzliche tragische Tod seiner Mutter verursacht hatte. Früher einmal hätte sie genau gewusst, warum er so empfindlich reagierte. Früher einmal hatte sie ihm einfach angesehen, was mit ihm los war. Diese Zeiten schienen unendlich weit weg zu sein.
Sie merkte, dass er sie anstarrte. „Habe ich etwas in meinem Gesicht?“, fragte sie.
„Wie bitte?“
„Ist etwas mit meinem Gesicht? Ich dachte, ich hätte da vielleicht etwas, weil du mich so komisch anguckst.“
„Entschuldige, ich wollte dich nicht verunsichern.“
„Das hast du nicht“, sagte sie rasch.
Wieder Schweigen. Rosa spürte, dass irgendetwas aus ihr herauswollte, geradezu nach draußen drängte. Sie versuchte, dieses Gefühl vor sich selbst zu leugnen, doch es gelang ihr nicht. Hier war sie, mit dem Mann, der ihr einmal das Herz gebrochen hatte, und sie brannte regelrecht darauf, ihn endlich bestimmte Dinge zu fragen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er hatte gerade seine Mutter verloren, und alle Welt hatte erfahren, dass es Selbstmord gewesen war.
„Jetzt bist du so still“, sagte er. „Das verunsichert wiederum mich .“
„Ich denke darüber nach, was ich sagen soll. Und darüber, ob es überhaupt etwas gibt, was ich sagen kann.“ Sie hatte plötzlich das starke Bedürfnis, ihn zu berühren. Doch als sie die Hand nach ihm ausstreckte, zog sie sie sofort wieder zurück und bedauerte, dem Impuls nachgegeben zu haben. „Als meine Mutter gestorben ist, war die Situation zwar eine andere, aber es war ebenfalls ein entsetzlicher Verlust. So wie bei dir jetzt.“ Sie biss sich auf die Lippen und fragte sich, wie es ihr wohl gegangen wäre, wenn sie gewusst hätte, dass ihre Mutter freiwillig aus dem Leben geschieden wäre. Es wäre furchtbar schlimm gewesen, und die Tatsache, dass alle Leute davon wussten, hätte es noch schlimmer gemacht.
Sie blieb stehen. „Was wirst du unternehmen?“
„Das weiß ich nicht genau.“
„Hast du irgendeinen Verdacht, wer damit an die Presse gegangen sein könnte?“
„Vielleicht jemand aus der Gerichtsmedizin. Wir werden diesbezüglich ganz bestimmt Nachforschungen anstellen.“
„Wir?“
„Mein Vater und ich.“
„Aber die Zeitungen haben eine ‚anonyme Quelle‘ zitiert, also werden sie euch nicht verraten, wer dahintersteckt.“
„Das werden wir noch sehen.“
Die Entschlossenheit in seiner Stimme beeindruckte und faszinierte sie. Doch genau das wollte sie nicht – ihn faszinierend finden. „Alex, wie wichtig ist es?“
„Was meinst du? Dass meine Mutter sich umgebracht hat oder dass es in der Zeitung steht?“
„Beides, glaube ich.“
„Mir persönlich ist es scheißegal, ob die Geschichte in den Abendnachrichten gebracht wird oder nicht, aber meinen Vater stört es. Meine Schwester auch. Sie wird ihren Kindern erklären müssen, was passiert ist. Das ist das Entsetzlichste daran.“
Rosa fiel auf, dass er nicht darauf eingegangen war, wie es ihm selbst wegen des Suizids seiner Mutter ging. Außerdem fand sie es erschreckend, wie viel Aggression sie plötzlich den Zeitungen gegenüber empfand, die die Geschichte veröffentlicht hatten. Bis jetzt hatte sie in Journalisten immer so etwas wie Verbündete gesehen, die ihr dabei halfen, den Bekanntheitsgrad des Restaurants zu steigern. Dank einiger
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