UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
Jungenzimmer sah unverändert aus. So, als hätten Rob und Sal es vor fünf Minuten verlassen. An der Wand hing noch ein Wimpel der Winslow Spartans, dem Lieblingsfußballclub der beiden, in einem Regal reihten sich Pokale von Baseballturnieren und Ringkämpfen, und auf der Kommode standen Bilder mit ausgeblichenen Fotografien. Auf einem Foto war Rosa in ihrem Erstkommunionskleid zu sehen, in dem sie als Sechsjährige wie eine Minibraut wirkte. Eine andere Aufnahme zeigte sie als stolze Achtjährige – mit einem großen Fisch in der Hand, den sie gefangen hatte, als Mr. Carmichael sie in seinem Boot mit aufs Meer genommen hatte. Die Bilder ihrer Mutter waren so arrangiert, dass sie beinahe wie ein kleiner Altar wirkten. Auf den verblassten Fotos kamen Mammas ätherische Schönheit und ihre zarte Anmut noch stärker zur Geltung.
Rosa begann, die Schränke auszuräumen, und stopfte die Kleidungsstücke – darunter Jeans von Levi’s und Chuck Taylor sowie jede Menge Hemden mit spitzen Kragen – in große Müllsäcke. Die alten Sportsocken und die Dukes-of-Hazzard T-Shirts wären mittlerweile selbst für die Heilsarmee oder ähnliche Wohltätigkeitsvereine eine Zumutung.
Eine Mischung aus Neugier und schlechtem Gewissen hatte ihren Vater offenbar nun doch nach oben getrieben, denn er stand plötzlich – bewaffnet mit einem Wischmopp, einer Flasche „Pledge“-Parkettpflege und ein paar Küchenrollen – in der Tür. Er sagte kein Wort, sondern begann etwas unbeholfen und sichtlich planlos den Boden aufzuwischen. In einträchtigem Schweigen arbeiteten sie eine Weile vor sich hin, bis Rosa schließlich die Bettwäsche der Stockbetten abzog, um sie zum Waschen nach unten zu bringen.
„Was machst du da?“, erkundigte sich Paps. „Die Bettwäsche ist sauber.“
„Sauber vielleicht, aber nicht wirklich frisch.“ Rosa merkte, dass er das Wort „frisch“ nicht verstanden hatte, und wiederholte es in der Gebärdensprache.
„Wie du meinst“, murmelte er und begann, die Kommode abzuräumen, um sie sauber zu machen. Dann staubte er sorgfältig die Bilderrahmen ab. Er lächelte versonnen.
Sie winkte, damit er sie wieder ansah. „Woran denkst du?“
Er stellte ein Foto mit Rob und Sal im gestreiften Baseball-Dress wieder auf die Kommode. „Ich danke Gott für all das“, sagte er sichtlich bewegt. „Ich danke ihm, dass ich das alles erleben durfte.“
Rosas Herz zog sich zusammen. Sie wusste, dass er gerade an eine Zeit dachte, als er noch hören konnte, als das Haus mit Lachen erfüllt gewesen war und Krankheit und Schicksalsschläge etwas waren, wovon man nur in der Zeitung las. Der Unfall vor zwölf Jahren hatte ihn verändert. Er war ernster geworden. Düsterer.
Sie half ihm, die Bilder wieder aufzustellen. „Vor uns liegen noch viele schöne Zeiten, Paps.“
Er tätschelte ihre Hand. „Sicher, sicher.“ Dann sah er sie prüfend an, und Rosa spürte, dass er erriet, was in ihr vorging. Im Gedankenlesen war er immer schon gut gewesen. „Du wirst dich wieder mit ihm treffen, stimmt’s? Mit dem jungen Montgomery.“
„Ich weiß nicht. Vielleicht.“ Sie hatte keine Ahnung, warum sie ihm so antwortete, denn eigentlich sagte sie sich doch ständig, dass es längst vorbei war. Sie wollte Alex gar nicht sehen. Doch Paps schaffte es immer irgendwie, dass sie ganz impulsiv antwortete.
„Rosa, er ist derjenige, der dir einmal furchtbar wehgetan hat. Was er getan hat, war indiskutabel, und dein Liebeskummer hätte dich fast …“
Sie wusste, dass er gerade daran dachte, wie extrem sie damals auf den Unfall reagiert und wie sie wegen Alex gelitten hatte. „Ich war sehr jung und wusste noch nicht, wie man mit solchen Situationen umgeht“, sagte sie.
„Tja, aber mittlerweile hast du dir etwas aufgebaut und führst ein schönes Leben. Lass dich nicht auf einen Jungen wie ihn ein. Er tut dir einfach nicht gut.“
Alex war und blieb für Paps ein Junge, ein verwöhnter, reicher Junge.
„Menschen verändern sich“, entgegnete sie und fragte sich gleichzeitig, warum sie Alex verteidigte. Vielleicht deshalb, weil Paps eine Gegenposition vertrat – und sie und er generell zu hitzigen Diskussionen neigten.
„Seine Hochzeit ist abgeblasen, und er hat gerade seine Mutter verloren. Er braucht bloß jemanden, bei dem er sich ausheulen kann.“
Sie hielt inne, legte den Putzlappen beiseite und sah ihn prüfend an. „Du klingst, als wüsstest du bestens Bescheid, was die Leute reden.“
„Ich lese die
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