UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
sie und errötete, weil sie ihm damit verriet, dass sie sich nach ihm erkundigt hatte. „Ich war nirgendwo. Nur hier.“
„Hier zu sein ist doch in Ordnung.“
Beinahe hätte sie ihm von ihren Uni-Plänen erzählt, doch dann ließ sie es. Nicht jetzt, später.
Sie blieben stehen und sahen aufs Meer hinaus, auf dem sich dunkelrot das Licht der untergehenden Sonne spiegelte. In der Ferne war der Leuchtturm zu sehen. Bis auf das Rauschen der Wellen war es vollkommen still.
„Ich habe das alles sehr vermisst“, sagte Alex. „Aber was mir nicht gefehlt hat, war das Gefühl, von meiner Mom wie eine Laborratte beobachtet zu werden.“
„Was hast du denn alles mit deiner neuen Freiheit angefangen?“
„Auf meiner Highschool war es ziemlich langweilig. Es war die ‚Phillips Exeter Academy‘ in New Hampshire, die schon mein Vater besucht hat und vor ihm sein Vater und so weiter, und irgendeiner unserer Vorfahren hat, soviel ich weiß, auch den alten John Phillips selbst gekannt, der die Schule gegründet hat.“
„Es soll eine ausgezeichnete Schule sein“, sagte sie. „Ich kann gar nicht glauben, dass du dich dort gelangweilt hast.“ Sie wusste, dass er immer schon überdurchschnittlich intelligent gewesen war. Vielleicht hatte ihn der Unterricht bloß nicht genug gefordert.
„Na gut, ganz so schrecklich langweilig war es vielleicht wirklich nicht. Ich war jedenfalls so froh, von zu Hause wegzukommen, dass ich überallhin gegangen wäre.“
Das verstand Rosa nur allzu gut. „Weil du vorher immer nur krank warst?“
„Genau. Ich wollte endlich ein eigenes Leben haben.“ Er sah ihr in die Augen. „Deshalb war ich auch in den Ferien nicht mehr hier. Aber etwas Bestimmtes, was zum Sommer in Winslow gehört, habe ich doch sehr vermisst.“
Sie bekam eine Gänsehaut. „Wirklich?“
Er schmunzelte. „Klar.“
„Bleibst du bis zum Herbst?“ Große Klasse, Rosa, dachte sie. Noch erwartungsvoller hätte deine Frage wohl kaum klingen können …
„Das habe ich vor, ja. Ich arbeite den ganzen Sommer für den YMCA.“
Sie schloss einen Moment lang die Augen, weil sie sich so sehr darüber freute. Und dann musste sie es ihn einfach fragen: „Gehst du im Herbst aufs College?“
„Ja. Und du?“
„Ja.“ Sie verschränkte die Arme. „Ich gehe nach Providence. Auf die Brown.“
Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, dass er lächelte, und sie wusste sofort, dass er auch dort studieren würde. „Echt?“
„Mhm.“ Ein- oder zweimal hatte Rosa sich gefragt, warum sie sich ausgerechnet für die „Brown University“ entschieden hatte. War es deshalb, weil es die beste Uni im ganzen Land war? Weil sie ein Stipendium bekommen hatte? Oder weil sie irgendwo in ihrem Hinterstübchen geahnt hatte, dass Alex auch dort sein würde? Es war jene Uni, auf die schon seine Mutter, sein Vater, sein Großvater und überhaupt alle Montgomerys gegangen waren. In der Bibliothek des Sommerhauses gab es ein Foto, auf dem seine Eltern auf den Stufen vor der berühmten Emery Hall saßen.
Plötzlich empfand sie ihre Zukunft als etwas ganz Reales. Zum ersten Mal konnte sie sich selbst wirklich an der Uni vorstellen – wie sie über den Campus ging oder in einem Hörsaal oder der Bibliothek saß. Und Alex war ein Teil dieses Bildes.
„Erinnerst du dich an diese Stelle?“, fragte er. Er war eindeutig nicht so aufgeregt wegen des Colleges wie sie. Vielleicht deshalb, weil es für ihn selbstverständlich war zu studieren.
„Nein“, sagte sie. „Was ist damit?“ Doch in Wahrheit wusste sie genau, was er meinte. Sie hatte ständig daran gedacht und sogar davon geträumt. Hier, genau hier war es passiert. An dieser Stelle war aus der Freundschaft mit Alex etwas anderes geworden. War mehr geworden.
Dann stand er plötzlich direkt vor ihr – ganz nah.
„Lügnerin“, sagte er. „Du erinnerst dich genau.“
Sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. „Wir waren jung und dumm“, sagte sie. „Daran erinnere ich mich.“
„Du willst mir doch nicht weismachen wollen, dass du dich an deinen ersten Kuss nicht erinnerst.“
„Wer sagt denn, dass es mein erster war? War er nämlich nicht.“
„Doch, war er.“
„War er nicht.“ Doch das war gelogen, und Alex wusste es natürlich. In der dritten Klasse hatte Paulie di Carlo versucht, sie auf dem Schulball zu küssen, aber sie hatte ihn nicht gelassen, und danach hatte sie das restliche Schuljahr kein Wort mehr mit ihm gewechselt.
„Es ist irgendwie
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