UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
Vektoranalyse oder Jung’scher Psychologie gewesen. Nicht in der Küche.
Und doch hatte sie schon seit jeher gern für andere – nicht für sich selbst – gekocht und sie kulinarisch verwöhnt. An der Highschool war immer sie diejenige gewesen, die kleine Snacks zum Lernen mitgebracht hatte. Sogar das Fußballteam war in den Genuss ihrer Cicchetti gekommen, und in der letzten Klasse hatten sie in der Schülervertretung nicht selten die Qualitätsunterschiede diverser Olivenöle diskutiert.
Rosa packte noch ein paar frische Beeren und zwei Flaschen Orangina ein, verstaute alles in ihrem Fahrradkorb und fuhr los. Sie schwebte immer noch auf Wolken und dachte immerzu an Alex. Es war unglaublich, wie sehr ihr ganzes Denken, ihr ganzes Sein von ihm erfüllt waren. Einfach phänomenal. Gestern noch hatten sich all ihre Gedanken um das College gedreht, und jetzt konnte sie an nichts anderes denken als an Alex.
Als sie unter dem steinernen Torbogen durchradelte, hinter dem der Strand begann, sah sie, dass Alex schon da war. Allerdings wartete er nicht wirklich auf sie, sondern spielte im Team mit anderen Sommergästen Volleyball. Die andere Mannschaft bestand aus Jungen aus Winslow. Rosa sah ihnen aus einiger Entfernung zu. Besser gesagt, sie sah Alex zu. Er trug Shorts, hatte sein T-Shirt ausgezogen und sah unglaublich gut aus. Es war schwer, sich vorzustellen, dass dies einmal der dünne, blasse, asthmatische Alex gewesen war. Rosa war merkwürdig fasziniert von seiner muskulösen Brust, dem flachen Bauch, den kräftigen Beinen und dem blonden Haarschopf, der ihm beim Spielen immer wieder in die Stirn fiel. Er spielte barfuß, und seine Bewegungen waren ungeheuer selbstsicher.
Jungs hatten – egal, woher sie kamen – die Gabe, aus einem harmlosen Volleyballspiel einen Wettkampf auf Leben und Tod zu machen. Vince, Paulie, Leo und Teddy kannte sie aus der Schule oder von der Arbeit. Sie trugen abgeschnittene Jeans und ärmellose, eng anliegende T-Shirts, und ein paar von ihnen hatten Tattoos, einen Schnurrbart oder ein Kinnbärtchen. Sie schrien und feuerten einander laut an, und Rosa wünschte, der Unterschied zu den Jungen, die nicht von hier waren, wäre nicht ganz so auffällig gewesen.
Die anderen erkannte man an ihrer lässigen Kleidung, die sicher ein Vermögen kostete, und ihrem glänzenden Haar sofort als Söhne reicher Familien aus Neuengland. Drei Mädchen standen am Spielfeldrand und schauten zu. Rosa kannte sie nicht, doch sie kannte deren Typ. Sie hatten helles, seidiges Haar, trugen Khaki-Shorts und blaue Blusen mit hochgerollten Ärmeln, hießen vermutlich Brooke oder Tiffany und gingen wahrscheinlich alle auf Privatschulen. Zwischen ihrer lässigen Art, sich zu kleiden, und dem Stil von Rosa und ihren Freundinnen, die jede Ausgabe von „Glamour und Cosmopolitan“ studierten und jeden neuen Modetrend zu kopieren versuchten, lagen Welten.
„Hey, Rosa!“, brüllte Vince.
Endlich, dachte sie. Es wurde aber auch Zeit, dass jemand sie bemerkte. Sie winkte ihm zu.
„Ich bin gleich fertig“, rief Alex.
Das Volleyballmatch war gerade in der heißen Schlussphase. Angesichts der Art und Weise, wie sich die Jungs nun ins Zeug legten, hätte man meinen können, es ginge um den Staatsmeisterschaftstitel.
Dann tauchte Rosas beste Freundin Linda Lipschitz auf und setzte sich neben Rosa auf die Steinmauer. Linda aß eine Banane und trank ihr zuckerfreies „Diet Dr. Pepper“. Sie hatte einen Abnehm-Tick. Doch sosehr sie sich auch anstrengte, sie blieb immer gleich. Sie war von Natur aus rundlich und schien vom Schicksal dazu bestimmt, es auch zu bleiben. Und sie war hübsch, so wie sie war, und hatte ein ungeheuer fröhliches, gewinnendes Lächeln.
„Wie ist dein Gespräch gelaufen?“, fragte Linda.
„Gut.“
„Ich kann es gar nicht glauben, dass du uns verlässt und aufs College gehst.“
„Ich verlasse euch doch nicht.“ Doch irgendwie war sich Rosa gar nicht so sicher, ob das stimmte.
„Ach, das sagen alle. Wahrscheinlich landest du irgendwo in Europa oder in Kalifornien, und ich sehe dich nie mehr wieder.“
„Warum sollte ich denn nach Europa oder Kalifornien gehen?“
„Dort gehen doch die Leute hin, die studieren und Karriere machen.“ Linda sah eine Weile dem Spiel zu. „Irgendwann einmal bist du in ihrem Team.“ Sie deutete mit dem Kopf zu den Sommergästen.
Rosa lachte. „Die würden mich nie aufnehmen.“
„Stimmt, du müsstest erst deine Haare blond färben. Oh, und
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