UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
Boden rissen, konnte Rosa sogar vom Spielfeldrand aus hören, wie er um Luft rang.
„Paulie, ihr spielt Flag Football, nicht American Football.“
„Alles bestens.“ Alex stand auf, stopfte den Stoffstreifen – die „Flag“, die man dem Spieler entreißen sollte, statt sich wie beim echten Football mit voller Wucht auf ihn zu werfen – wieder in den Gürtel seiner Shorts und spielte weiter. Ziemlich gut sogar, denn als er sich mit dem Ball das nächste Mal bis hinter die Ziellinie durchkämpfte, war von einigen von Rosas Schulfreunden sogar ein anerkennendes Grunzen zu hören.
Das Spiel hörte nicht auf. Es wurde vielmehr durch Nona Fiore unterbrochen, die alle zum Essen rief. Alle stürmten zum Buffet – Panzanella mit Brot und Tomaten, Pasta in allen nur erdenklichen Variationen, gebratene Würstchen, in Alufolie gegrillter Fisch, Cremeschnitten und mit Eis gefüllte Reginatta. Die Erwachsenen tranken Chianti aus bunten Bechern und plauderten angeregt auf Italienisch. Ab und zu hörte Rosa sie quel ragazzo sagen. Aha, man unterhielt sich also über Alex, diesen Jungen . Sie fragte sich langsam ernsthaft, warum es nicht möglich war, dass er von den Leuten, die sie so mochte, freundlich aufgenommen und akzeptiert wurde.
„Hier, iss das, du bist ohnehin zu dünn“, sagte Nona Fiore. Rosa drehte sich um und sah, wie Marios Schwiegermutter Alex gerade ein Stück Trippa marinata reichte, das auf einem Zahnstocher aufgespießt war. Ehe Rosa ihn warnen konnte, hatte er sich bei der alten Dame bedankt und den Happen in den Mund geschoben.
„Sehr lecker“, lobte er und hielt sich dabei eine Serviette vor den Mund, weil er immer noch kaute. Rosa wusste, dass er noch ziemlich lange zu kauen haben würde. Nachdem Nona ihm lächelnd zugenickt hatte und sich dann umdrehte, fragte er Rosa: „Was esse ich eigentlich?“
„Marinierte Kutteln. Also Kuhmagen.“
Er riss die Augen auf, fluchte leise und begann, schneller zu kauen.
„Kauen bringt nichts“, erklärte sie ihm. „Man kaut und kaut und kaut, aber es tut sich nichts. Schluck es einfach.“
Er schluckte ebenso tapfer wie geräuschvoll. „Holen wir uns etwas zu trinken.“
Er ging zu einer mit Eiswürfeln gefüllten Kiste und nahm zwei Dosen Cola heraus. Mario und sein Schwager Theo versuchten, Rosa und Alex in ein Gespräch einzubeziehen. Alex wirkte steif und gekünstelt, als er sich mit ihnen unterhielt, und verdrückte sich bald unauffällig. Situationen wie diese gab es an diesem Tag noch viele. Rosa wünschte, es wäre nicht so gewesen, doch je länger sie hier waren, desto weniger konnte sie die Augen vor der Wahrheit verschließen: Alex passte genauso wenig in ihre Welt wie sie in seine. Dabei bemühte er sich wirklich. Er kostete alle Häppchen, lachte höflich über Witze, die er nicht verstand, und hörte aufmerksam den Großmüttern zu, von deren Sprache er kaum ein Wort kannte. Je mehr er sich bemühte, desto deplatzierter wirkte er. Und desto mehr liebte sie ihn für die Art und Weise, wie er sich bemühte.
Sie liebte ihn, weil er einen riesigen Teller mit Nudeln verdrückte, den man ihm fast aufgedrängt hatte, und dafür, dass er ein Kind nach dem anderen geduldig auf die Schaukel hob. Und sie liebte ihn, weil er versuchte, Paps’ Sympathie zu gewinnen, obwohl Paps unmissverständlich zu verstehen gab, dass er überhaupt nichts an Alex gut fand. Rosa fiel nur ein einziger Grund ein, weshalb Alex sich so sehr bemühte – sie selbst.
Langsam wurde es Abend. Glühwürmchen tanzten in der Dunkelheit, und irgendjemand versammelte alle Kinder um den Grill. Nun wurden Marshmallows geröstet. Rosa sah sich um. Beim Anblick all der glücklichen Gesichter ihrer Freunde und Nachbarn und wissend, dass Alex an ihrer Seite war, wurde ihr wieder ganz warm ums Herz. Sie lehnte sich an ihn. Solche Momente waren für sie der Inbegriff des Glücks.
Mamma würde es hier gefallen, dachte sie, während sie den Frauen zuhörte, die sich auf Italienisch unterhielten. Dann kam ihr plötzlich der Gedanke, dass auch ihre Mutter vielleicht gar nicht so begeistert davon gewesen wäre, dass Rosa sich in den Sohn einer reichen protestantischen Familie aus der Stadt verliebt hatte.
„Los, hauen wir ab“, flüsterte Alex ihr ins Ohr.
„Okay.“
Einige Eltern trugen bereits ihre schlafenden Kinder zum Auto. Die Männer entsorgten das Eis, mit dem das Essen gekühlt worden war, und die Frauen verpackten das Geschirr und die großen Pasta-Schüsseln. Rosa
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