Und ewig währt die Hölle (German Edition)
Blatt Papier mit Silbersternen. «Weihnachtsfeier in der Kantine». Er notierte das Datum in seinem Kalender und legte die Einladung in die Schublade. Anders als die meisten Vorgesetzten im Haus hielt Lykke viel von Betriebsfeiern. Die jährliche Veranstaltung des Dezernats für Gewalt- und Sittlichkeitsverbrechen im sechsten Stock war vielleicht nicht direkt gemütlich, aber wenn man darüber hinwegsah, dass die Polizeidirektorin jedem nur zwei Bier zum Essen genehmigte und der Weihnachtsbaum neben dem Buffet aus Plastik war und aus China kam, war es tatsächlich möglich, etwas von dem Gemeinschaftsgefühl zu spüren, an das Lykke sich von den Weihnachtsfeiern an der Polizeihochschule erinnerte. Trotzdem ging er immer früh nach Hause. Das Beamtensozialwerk spendierte in der Regel immer noch ein paar Drinks für den gemütlichen Teil des Abends, und im letzten Jahr hatte die Feier mit einer Schlägerei geendet, als ein junger Polizeimeister vom Ausschuss für Gesundheit am Arbeitsplatz versuchte, einen Hauptkommissar der Sitte daran zu hindern, auf der Terrasse zu rauchen.
Er seufzte tief, kramte ein Päckchen Extra aus dem Mantel, der über dem Stuhlrücken hing, und steckte sich ein Kaugummi in den Mund. Ein seltener Sonnenstrahl fiel durch das einzige Fenster und tanzte vorsichtig über den Schreibtisch. Für einen Moment schweiften Lykkes Gedanken zu dem kleinen roten Sommerhaus in Bohuslän. Was Gunnarsson wohl gerade machte? Ob er draußen war und Hummerkästen auslegte?
Es klopfte kurz an der Tür, und noch ehe Lykke einen Ton sagen konnte, füllte Lasse Vikers breite Gestalt den Türrahmen aus.
«Darre ist mindestens noch zwei Wochen krankgeschrieben.»
«Du lieber Himmel.»
«Irgendwas stimmte nicht mit den Blutwerten. Er hörte sich am Telefon beinahe glücklich an.»
«Endlich einen Fehler gefunden, wie?»
«So was in der Art.»
Lykke erhob sich von seinem unbequemen Bürostuhl und nahm seinen Platz am Fenster ein.
«Da kommen lange Tage auf uns zu», sagte er mit dem Rücken zu Viker.
«Japp.»
«Alles klar zu Hause? Was machen die Kinder?»
Viker starrte verblüfft auf den schmalen Rücken.
«Äh … Mein Junge wurde für die Kreismannschaft ausgewählt», antwortete er. «Mittelfeld.»
«Aha …?»
«Fußball. Nur er und noch einer vom SIF. Er ist ja eigentlich Stürmer, aber …»
Lykke drehte sich um. Die magere Gestalt im Gegenlicht erinnerte Viker an ein Theaterplakat, das bei ihm zu Hause in der Diele hing.
«Und … Kari?»
«Karin.» Lasse Viker rieb sich das unrasierte Kinn. «Ach, ihr geht’s gut, denke ich …»
«Ich verstehe das nicht», sagte Lykke.
«Dass es Karin gutgeht?»
«Wem?»
Viker zuckte resigniert mit den Schultern.
«Was verstehst du nicht?»
«Ist Sadegh im Haus?»
Viker nickte.
«Ein Mac fehlt», sagte Lykke.
«Ein was?»
«Die Werbeagentur sagt, dass sie immer einen Mac mit sich herumgetragen hat. In der Wohnung war kein Laptop. Er ist spurlos verschwunden.»
Lykke ging die drei Schritte zu seinem Schreibtisch zurück. Einen Moment lang sah er Sonja vor sich, wie sie zu Hause am Esstisch über ihren kleinen silbergrauen Mac gebeugt saß. Sie hatte immer hartnäckig behauptet, dass Mac-Rechner einem normalen PC haushoch überlegen seien. Es hatte irgendwas mit der graphischen Software zu tun.
«Was kostet so ein Rechner?»
Viker lehnte sich gegen den Türrahmen.
«Zehntausend Kronen vielleicht? Fünfzehn?»
«Hatte sie Internetzugang in ihrer Wohnung?»
«Keine Ahnung. Wir haben ja keinen Computer gefunden, deshalb haben wir das nicht überprüft.» Lasse Viker blickte auf seine ungeputzten Schuhe.
Lykke nahm das Kaugummi heraus, riss eine Ecke von den ewigen Berichtsprotokollen ab und wickelte die kleine Kugel sorgfältig darin ein, bevor er sie in den Papierkorb warf.
«Hol das nach.»
«Geht klar.»
«Der Nachbar?»
Viker seufzte.
«Komischer Kauz. Hat das Wohnzimmer voller Aquarien. Sicher tausend Fische. Sagt, er züchtet sie.» Er zog ein blaues Taschentuch aus der Hose und putzte sich die Nase. «Der Kerl konnte gerade mal vier zusammenhängende Worte von sich geben, aber ob du’s glaubst oder nicht, er hatte ein Buch von diesem Frank Kafka.»
« Franz Kafka», korrigierte Lykke geduldig.
«Ja, Kafka. Parisa wusste jedenfalls, wer das ist, und konnte sich das überhaupt nicht zusammenreimen.»
«Habt ihr was Neues von ihm erfahren?»
«Nein, aber er muss sie gekannt haben. Ist zugeklappt wie ’ne Auster, als Parisa ihn
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