Und ewig währt die Hölle (German Edition)
er sich darauf freute, das überraschte Kindergesicht zu sehen. Er war schon fast aus der Tür, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte.
«Rigmor hier.»
«Hallo.»
«Es geht um die Frau aus der Tøyengata …»
«Ja?»
«Ich hab was gefunden. Hast du Zeit?»
Lykke warf einen Blick auf seine Armbanduhr und berechnete automatisch die Verkehrsdichte und die Entfernung zum Rechtsmedizinischen Institut am Rikshospitalet.
«Bin in zwanzig Minuten da», sagte er und knallte den Hörer auf.
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Kapitel 10
Rigmor Haugen saß mit dem Rücken zur Tür an einem der langen Tische in der Mitte des Labors. Lykke blieb ein paar Minuten an der Tür stehen, und plötzlich wurde ihm bewusst, wie oft er die grauhaarige Frau schon so hatte dasitzen sehen – über ein Mikroskop gebeugt, den weißen Laborkittel offen und die Brille an einer schwarzen Schnur vor der Brust baumelnd. Eine Handvoll anderer weißgekleideter Pathologen saß um einen runden Tisch am hinteren Ende des Labors und trank Kaffee. Eine Frau Ende dreißig mit rötlichem Haar, die Lykke von früheren Fällen her bekannt vorkam, lachte plötzlich laut auf. Er dachte einen Moment an Parisa Sadegh und räusperte sich leicht pikiert. Wie konnten vernunftbegabte Menschen eben noch einer Leiche das Gehirn entnehmen und sich im nächsten Moment bei einer Tasse Kaffee Witze erzählen? Oder war es gerade das, was man in diesem Beruf können musste?
«Hallo, was gibt es denn Interessantes?»
Rigmor Haugen hob einen Arm, während sie weiterhin ins Mikroskop starrte.
«Du hast was für mich?», fuhr Lykke fort.
«Moment …»
Ihre Brille pendelte sachte vor und zurück. Das Gestell war dick und braun mit einer Art Zickzackmuster in Grau. Lykke hätte schwören können, dass sie diese Brille schon gehabt hatte, als sie sich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal begegnet waren. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die kleine Gruppe am Kaffeetisch. Drei Männer und zwei Frauen. Lykke erkannte den dunklen Hinterkopf von Mihajlo Djogo. Der Mann war Schwede und laut Rigmor der beste Pathologe, mit dem sie je zusammengearbeitet hatte. Lykke nickte kurz, als die rothaarige Frau ihm zulächelte. Ihr Name fiel ihm auf die Schnelle nicht ein, es kam selten vor, dass er mit jemand anderem als Rigmor Haugen zu tun hatte.
«Ich habe ein paar Fotos.»
Rigmor erhob sich und setzte die Brille auf, dann hielt sie inne und zupfte nachdenklich an ihrem Ohrläppchen.
«Ich weiß noch nicht, ob es was zu bedeuten hat, aber ich finde, du solltest dir das mal mit eigenen Augen ansehen. Du willst dir ja immer selbst ein Bild machen …»
«Sehr gern.»
Lykke folgte ihr die Treppe zum Kühlraum hinunter. Er war schon oft hier gewesen, trotzdem empfand er immer ein leichtes Unbehagen. Der Raum wirkte auf ihn wie eine Grabkammer. Entlang der Wände lauter Schubladen und in den Schubladen lauter Leichen. Rigmor ging an den Reihen entlang und kontrollierte die Nummern, so als suchte sie nach einem Koffer in einem Schließfach.
«Hier.»
Sie zog ein paar Papiere aus der Brusttasche ihres Kittels und warf einen Blick darauf, ehe sie vorsichtig an dem stählernen Handgriff zog.
Lykke betrachtete die tote Frau. Die Augen waren geschlossen und die schwarzen Haare hinter die Ohren zurückgestrichen. Sie lag auf dem Rücken, ihr Nacken war leicht gekrümmt, so als hätte sie gerade beschlossen, sich aufzusetzen.
«Schau dir das an.»
Haugen schlug das weiße Tuch zurück, zog sich Einmalhandschuhe an und ließ den Zeigefinger entlang der Wunde von der Halsgrube bis zum Unterleib gleiten.
«Siehst du?»
Lykke starrte auf den grotesken Schnitt, er musste mindestens siebzig Zentimeter lang sein.
«Ich sehe die Spuren von etwas, das man wohl als Ausschlachten bezeichnen muss, aber sonst …»
«Die unregelmäßige Schnittkante.» Haugen setzte die Brille auf und beugte sich über den bleichen Körper. «Die kleinen Zacken?»
Lykke lehnte sich ebenfalls nach vorn und folgte ihrem Finger.
«Ich sehe, dass da ein paar Fetzen sind, ja. Was bedeutet das?»
Die Pathologin richtete sich auf.
«Vielleicht nichts», erwiderte sie kurz.
Lykke wartete.
«Aber es könnte bedeuten, dass der Täter ein Messer oder einen Säbel mit schartiger Klinge benutzt hat. Außerdem ist es sehr plump ausgeführt.»
Lykke betrachtete das teilweise aufgeschnittene Gesicht. Erst jetzt bemerkte er, dass die Vorderzähne schief standen. Auseinandergepresst von einem scharfen Gegenstand, der
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