Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
Vom Netzwerk:
sofort ihren Zopf zu verlieren ... Ihre Finger verhakten sich nervös ineinander und sie richtete ihre Augen auf das Gesicht der Äbtissin. Von ihr hing jetzt alles ab. Würde sie nachgeben?
    Doch die hatte sich mit schmal zusammengepressten Lippen auf ihrem Stuhl zurückgelehnt, winkte nur einmal kurz mit der Hand, sagte aber nichts.
    „Lasst uns beten und dem Herrn danken, dass er uns heute so treulich geführt hat!“
    Mathilda wandte den Kopf. Die laute Stimme Schwester Öflers war aus der Reihe der mittlerweile wieder aufgestandenen und durcheinandersprechenden Chorfrauen gekommen.
    Sie wedelte mit den Armen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: „Kniet euch hin und dankt Gott für seine Güte, die er jedem von uns hat angedeihen lassen.“
    Es wurde schnell ruhiger, nachdem sie ein paarmal in die Hände geklatscht hatte. Wieder war nicht mehr zu hören als raschelnder Stoff, über Steinfliesen schabende Schuhe und ein paar knackende Knochen, als sich alle auf die Knie niedersenkten. Deutlich konnte Mathilda ergeben gesenkte Augenlider sehen, gleichmütig scheinende Gesichter, die sich nun zum Altar hin ausrichteten.
    Gehorsam , schoss es ihr in den Kopf. Diese Nonnen waren gehorsam. Ihrem Wunsch war nicht nachgegeben worden – aber sie fügten sich, ohne zu murren. Bis auf die Schönin, die sich mit sich heftig bewegenden Lippen ebenfalls auf den Steinboden gekniet hatte. Während sich auf den Gesichtern der anderen Ergebenheit abzeichnete, waren ihre Züge deutlich von Missgunst verzerrt.
    Auch Mathilda wandte sich zum Altar, kniete sich hin, bekreuzigte sich – den Impuls unterdrückend, nach ihrem Zopf zu greifen und ihn festzuhalten – und dankte Gott dafür, dass er ihr diesen Teil ihres alten Lebens vorerst gelassen hatte, auch wenn sie ihn fortan verbergen musste.

Wer anderen eine Grube gräbt ...
     
     
    Der Rest des Tages war für die erleichterte Mathilda wie im Flug vergangen. Gleich nach der Befragung war sie in ihre Kammer geeilt und hatte eine der mitgebrachten Hauben aufgesetzt. Die war aus ungebleichtem Leinen und damit fast so grau wie ihre Kutte. Nachdem sie ihren langen Zopf einfach daruntergestopft hatte, beulte die sich auf ihrem Hinterkopf ziemlich aus. Ein ungewohntes Gefühl war das, aber daran würde sie sich schon gewöhnen.
    Nach Vesper hatte sie zum Abendessen mit Appetit Suppe, Brot und Käse verspeist. Inzwischen war sie recht gut darin, die während der Mahlzeiten aus dem Alten Testament vorlesenden Stimmen zu ignorieren. Es blieb ihr auch gar nichts anderes übrig. Die ausgewählten Textstellen mochten der Vorleserin helfen, über die ihr entgehende Mahlzeit hinwegzukommen. Wer dennoch essen konnte, hörte entweder schlecht, hatte einen gänzlich unempfindlichen Magen oder war im Weghören geübt. Mathilda hatte Letzteres gewählt, um nicht andauernd hungrig herumlaufen zu müssen.
    Zur Ablenkung von der akustischen Dauerberieselung übte sie seit ein paar Tagen mit Katharina Handzeichen. Zuerst hatte sie es kaum glauben mögen, dass es eine ausgefeilte Zeichensprache gab, derer sich die Nonnen bedienten, um das Silentium nicht zu verletzen und dennoch miteinander kommunizieren zu können. Doch jetzt, nachdem sie davon wusste, konnte sie beobachten, wie mit kleinen sparsamen Bewegungen Botschaften verschickt, empfangen und beantwortet wurden. Und zwar von allen Nonnen. Selbst die Äbtissin hatte sich schon während einer Mahlzeit auf diese Weise mit ihrer Nachbarin, der Priorin, verständigt.
    So also wurde mit den Klosterregeln umgegangen?
    Mathilda hatte nur einen Moment überlegen müssen, ob sie empört sein sollte, sich dann aber dafür entschieden, es nun ihrerseits nicht mehr so eng zu sehen – und die Regeln, beziehungsweise ihre Verstöße dagegen – großzügiger zu bewerten. Schuldgefühle deswegen und den Gedanken an Selbstanklagen konnte sie sich in Zukunft also sparen. Das war gut, auch wenn es keinen Schutz vor der Angst darstellte, nicht doch für irgendeine Kleinigkeit angeklagt und bestraft zu werden. Denunziation würde ein Problem bleiben.
    Ach, Mathilda wischte mit der Hand durch die Luft, die Erleichterung, die Befragung endlich hinter sich zu haben, war eine so große, dass sie an alles andere jetzt erst einmal nicht mehr denken wollte.
     
    Guter Dinge war sie nach Komplet in ihre Zelle zurückgekehrt. Gleich als erstes hatte sie sich um ihren 'himmlischen Bräutigam' gekümmert, sein klägliches Dasein als Schubladenpuppe zumindest

Weitere Kostenlose Bücher