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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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vorläufig beendet, indem sie ihn herausgenommen, aus der Nachthaube ausgewickelt und – mit ihm gesprochen hatte. Danach hatte sie ihn in ihr Bett gelegt und säuberlich zugedeckt. Da konnte er bleiben!
    Es war noch ein bisschen zu früh, um selbst schlafen zu gehen, deshalb hatte sie, immer noch gut gelaunt, sich mit ihrem Rosenkranz auf die Kniebank begeben – und gebetet. Immerhin hatte Pater Arno ihr diesbezüglich eine Empfehlung gegeben. Dass die an eine Voraussetzung geknüpft gewesen war, fiel ihr erst wieder ein, als sie schon das zweite Gesätz betete. Sebastian!
    Wie lange hatte sie nicht mehr an ihn gedacht? Und war sie nicht mehr wütend auf ihn? Sie lauschte in sich, nach ihrer Wut über seinen Verrat, dem verzweifelten Herbeisehnen oder nach einer anderen Regung, irgendeinem jener heftigen Gefühle, die er einst in ihr ausgelöst hatte.
    Ja sicher, er war nicht weg, immerhin war er der wichtigste Teil ihres Lebens gewesen. Und doch ... Er war entfernter. Nichts mehr in ihr schmerzte - oder brannte sogar, wenn sie an ihn dachte. Es war nicht so, dass er ihr egal war, im Gegenteil: Sie hatte ihn lieb, noch immer. Oder wieder. Da war wieder Platz für Wohlwollen, für Interesse. Sie hätte sich gern mit ihm ausgetauscht, wie sie es seit jeher getan hatte. Wie es ihm wohl in der ersten Zeit im Kloster ergangen sein mochte? In etwa so wie ihr oder hatte er weniger Probleme mit Demut und Gehorsam gehabt?
    Sie war nun hier – und wusste, dass es aushaltbar war, dass sie es schaffen würde, hier zu leben. Sie hatte tatsächlich aufgehört, sich zurückzusehnen nach ihrem früheren Leben, nach Sebastian als ihrem geliebten Ehemann. Es war vorbei.
    Bedeutete das, dass sie sich auf den Weg gemacht hatte, wie es von ihr erwartet wurde? Der Weg hin zu Gott und der Aufgabe, alle Menschen gleichermaßen zu lieben?
    Wobei es so ja auch nicht war. Wenn sie da nur an Katharina und die hässliche Schönin dachte. Die eine war ihr lieb und vertraut, die andere eher ihre Feindin. Gegensätzlicher als ihre Empfindungen für diese beiden konnten Gefühle doch fast nicht sein.
    Wenn sie nicht genau mitbekommen hätte, dass sogar die Äbtissin Abstufungen in ihren Gefühlen den anderen Nonnen gegenüber hatte – nein, sie musste sich da wirklich keine Gedanken machen.
    Aber wenn das so war – und wenn Sebastian für sie kein wunder Punkt mehr war, warum kniete sie dann hier und betete immer noch einen Sühne-Rosenkranz?
    Sie kannte die Antwort, wollte aber nicht darüber nachdenken. Lieber betrachtete sie Jesus, seine schmerzverzerrten Gesichtszüge, seine weit auseinandergerissenen Arme, festgenagelt auf dem Holzkreuz.
    Schmerz, Verrat – nein, genau daran wollte sie jetzt nicht mehr denken. Hastig wandte sie sich vom Kreuz ab, betrachtete das Püpplein im Bett. Jesus als Säugling, der alles noch vor sich hatte! Allen Schmerz ...
    Entnervt stand sie auf und zog die Decke über die Puppe. Aus den Augen, aus dem Sinn. Einen Moment noch stand sie ratlos da. Was jetzt? Was jetzt denken? Da gab es sonst nichts. Hier, in dieser engen Zelle gab es nichts als beten und denken!
    Mathildas Faust fuhr an die Wand, schlug dagegen. Au!
    Den aufgeschabten Knöchel reibend, kniete sie sich schließlich wieder hin, den Blick zum Kreuz tunlichst vermeidend, und nahm eine neue Perle in die Hand. Beten und nachdenken. Dann würde sie das eben tun!
    „Ave Maria, gratia plena ...“
    Ihre letzte Beichte stieg in ihrer Erinnerung auf. Die im Grunde gar keine gewesen war, auch wenn sie mit der Freisprechung durch Pater Arno geendet hatte. Aber für ihre Verfehlungen, die zu gestehen sie gar keine Zeit mehr gefunden hatte, war ihr keine Buße aufgetragen worden. Es war der Beichtplatz gewesen, ihr Beichtvater hatte hinter dem Gitter gesessen und auch die rituell richtigen Worte gesprochen. Dennoch war es alles andere als eine Beichte gewesen. Eher ein Gespräch unter vier Augen. In aller Vertrautheit. Denn wenn ihr eines inzwischen klargeworden war – sie mochte es furchtbar gerne, mit Pater Arno zu sprechen. Und der Beichtplatz war der einzige Ort, wo sie dies ohne weitere Zuhörer tun konnte. So gerne sie den täglichen Unterricht auch hatte, so gerne sie Georg mochte und Hartwig – Beichten mochte sie noch lieber. Weil sie dann Pater Arnos ungeteilte Aufmerksamkeit hatte.
    Mathilda richtete sich kerzengerade auf. Das musste sündig sein - und warf damit neue Fragen auf. Aber mit wem sollte sie die klären? Sie konnte doch kaum zu Pater

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