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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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sein. War das sein zusammenbrechender Wille, der ihm vorgaukeln wollte, dass er es beenden solle? Vorsichtshalber schlug er weiter, in nun kürzeren Abständen, auf sich ein. Alles, was er erreichte, war jedoch, dass sein Geist sich von seinem schmerzenden Körper zu lösen schien, genau wie als Kind, als er sich trotzig den Schlägen seines Vaters entzogen hatte.
    So half es nicht. Und es musste helfen, er musste Mathilda loswerden. Biss die Zähne zusammen und ließ ihr Gesicht vor seinem inneren Auge erscheinen, damit er sich vorstellen konnte, sie aus seinem Kopf zu prügeln.
    Doch es fühlte sich jedes Mal so an, als schlüge er sie. So ging es also auch nicht. Heftig schüttelte er sich, um sie zu vertreiben, doch er wurde sie nicht mehr los. War es das, was von ihm verlangt war? Eine unschuldige Frau zu misshandeln, nur weil er sie ...?
    Arno ließ die Geißel sinken. Es hatte keinen Sinn. Sein Geist war derselbe wie zuvor – von der Scham abgesehen, die ihn plötzlich ergriff. Wenn Mathilda wüsste, dass sie ihn dazu brachte, sich dermaßen zu demütigen.
    Er nahm ein Stück Tuch aus der Schublade und tunkte es in den Wasserkrug, um seine Schultern zu kühlen. Das alte Narbengewebe brannte wund, war aber nur an einer Stelle aufgerissen, wenn er es recht tastete. Mit der Kühlung breitete sich die ihn umgebende Kälte in seinem ganzen Körper aus. Fröstelnd trocknete er sich ab und streifte das Hemd über. Es scheuerte auf den Wunden – vielleicht würde ja wenigstens das etwas nützen. Seufzend schlüpfte Arno unter seine Decke, darauf achtend, normale Bewegungen zu machen. Wenn ihn der reale Schmerz vom Denken und Träumen abhielte, wäre die Aktion trotz allem erfolgreich gewesen.

Totenwache
     
     
    Es war dunkel und sie längst eingeschlafen, als es laut an ihre Türe klopfte:
    „Aufstehen zur Totenwache!“
    Es war die Priorin, eine brennende Lampe in der Hand und Müdigkeit im Gesicht, die sie harsch mahnte: „Du bist jetzt dran.“
    „Wie spät ist es denn?“, fragte Mathilda, als sie der schnell ausschreitenden Nonne hinterherstolperte. „Ich meine, ist schon Morgen?“
    „Sühnebedürftige bekommen prinzipiell die Nachtstunden“, kam die spitze Antwort. „Du wirst bis Vigil wachen und beten. Alleine.“
    Sie führte Mathilda auf direktem Weg zum Frauenchor, wo vor dem Altar ein grauer Holzsarg stand. Rechts und links von ihm, auf hohen Ständern, leuchtete je eine Kerze. Ansonsten lag ringsum alles in vollständiger Dunkelheit.
    „Hier kannst du knien“, sagte Schwester Öflerin und wies auf die Kniebank, am Fußende des Sarges. „Die Trauerliturgie ist dir vertraut?“ Doch ohne eine Antwort abzuwarten, wischte sie mit der Hand durch die Luft. „Ach, egal. Bete einfach Rosenkränze. Und entferne dich keinesfalls von hier. Denke stets daran: Nur das Totenlicht und das heilige Kreuz der Frauenkapelle schützen dich vor dem ...“ Mit einem resignierten Schulterzucken brach sie ab. „Mach, was du willst!“
    Damit drehte sie sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon.
    Mathilda sah dem langsam schaukelnden und sich dabei entfernenden Licht nach. Hatte die Priorin ihr eben mit dem Teufel gedroht? Sie schnaubte. Das war wirklich lächerlich.
    Doch als sie sich dem offenen Sarg zuwandte, kamen ihr doch Zweifel. Sie war hier ganz allein, mitten in der Nacht – mit einer Toten.
    Doch als sie die genauer betrachtete, verflogen alle Ängste wieder. Von dieser Leiche ging doch keine Gefahr aus.
    Zwar hatte sie Schwester Glaubrechtin niemals zuvor gesehen. Niemals lebendig. Aber jetzt hier, wachsbleich, mit abgezehrten Zügen, sah sie aus, als hätte sie niemals gelebt. Unwirklich wirkte sie und völlig fremd, aber nicht ein bisschen beängstigend.
    Die Nonne trug ihren vollen Habit, mit dem weißen Schleier der Laienschwestern, die Hände – ganz ungewohnt - über dem Skapulier gefaltet.
    Als Mathilda näher hinsah, erkannte sie einen Rosenkranz, der durch die eigenartig verformten und sichtlich starren Finger gewunden war.
    Diese Frau hatte miterlebt, wie Bruder Sandizell und seine Frau ins Kloster eingetreten waren. Sie war dabei gewesen, wie die beiden sich gegenseitig freigegeben hatten, um ihr Leben fortan ganz Gott zu weihen.
    Wieder kam Mathilda Sebastian in den Sinn. Er hatte sie freigegeben. So mehr oder weniger. Ihr Wille zumindest hatte dabei keine Rolle gespielt.
    „Ist das bei den Sandizells auch so gewesen?“, fragte sie die Leiche. „Hat sich Eva womöglich Wolfgangs

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