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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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wunden Schultern zu tun gehabt. Jetzt weiß sie es.  
    Hatte er gestern überhaupt einen einzigen Gedanken an ihre Person verschwendet? War stattdessen dermaßen überrumpelt gewesen, überfordert mit dem, was da aus seinem eigenen Herzen auf ihn eingeströmt war ... Was jetzt wohl in ihr vorging? Das hatte er in diesem Chaos schlicht vergessen.
    Arno, die Augen noch immer fest zusammengekniffen, erschauderte unter seiner verschwitzen Bettdecke und verlagerte das Gewicht auf seinen rechten Arm, was die brennende Haut ein wenig entlastete. Was aber auch nichts half, natürlich. Es war ihm nicht vergönnt, diese Tatsache noch länger zu verdrängen: Mathilda Finkenschlagin hatte erkannt, dass ihr Lehrer und Priester, Arno von Wayden, sie begehrte. Was empfand sie jetzt? Und was würde sie damit anfangen?
    Die Flucht ergreifen, was sonst? Arno von Wayden war viel zu alt für sie, er war kein Mann, sondern ein Mönch, und obendrein ihr Beichtvater!
    Oh, wie sehr er sich wünschte, auch einfach davonlaufen zu können, vor sich selbst zu fliehen mit allem, was da in ihm lauerte. Ihm war das nicht möglich – und wenn er noch so energisch aus dem Bett aufsprang. Im selben Moment aufkeuchte, weil – von der unvermittelten Kälte abgesehen – die heftige Bewegung die Wunde über seinem linken Schulterblatt wieder aufgerissen hatte. Er presste den Stoff seines Hemdes darauf. Seine Selbstgeißelung war vergeblich gewesen. Hatte nichts als neue Schmerzen gebracht, die ihn obendrein nicht im Mindesten von seinen geistigen ablenkten. Die Zähne zusammenbeißend trieb er seine Beine auf ihren Weg entlang seines Lagers. Zwei Schritte hin, Drehung, zwei zurück. Drehung.
    Er durfte Mathilda nie wiedersehen.
    Und er war gefangen. Weil er ihr ausgeliefert war. Weil alles, was er tun konnte, das war, was er die ganze Zeit bereits getan hatte: sie zu meiden. Und zwar vergeblich.
    Er musste ihr um jeden Preis fern bleiben. Und das würde nur dann funktionieren, wenn sie weg wäre. Sie musste weg.  
    Aber das wird sie doch jetzt von sich aus wollen!
    Seine Füße hatten selbsttätig angehalten. Das war nur logisch. Sie selbst würde von nun an verhindern, in seine Nähe zu kommen, wann immer es ihr möglich war. Im Unterricht konnte sie sich hinter Hartwig oder der geschlossenen Tür der Unterrichtsstube verstecken. Der Beichte, so er der Beichtvater war, würde sie fernbleiben. Und damit hatten sie und er endlich dasselbe Ziel.
    Das war es! Die jähe Erleichterung hatte ihn auf die Bettkante sinken lassen. Ab jetzt würde es einfacher werden. Gemeinsam mit Mathilda konnte er es schaffen, dass alles gut würde.
    Kaum hatte er sich vorsichtig wieder niedergelegt und seine inzwischen kühle und klamme Decke über sich gezogen, da überfiel ihn neues Entsetzen:
    Würde sie gleich heute beichten? Immerhin war Palgmacher dran. Und womöglich ihm erzählen, dass Arno sie ... Sie konnte nicht wissen, wie der Prior mit dem Beichtgeheimnis umging. Und allein dessen Wissen! Wie er Arno schadenfroh mustern würde, um dann – irgendwann, aus heiterem Himmel – zuzuschlagen. Wie seine fleischigen Hände auf seine feisten Schenkel ... Die Übelkeit hatte Arno wieder aus dem Bett getrieben, seine Schultern zum Schmerzen, seine Beine auf ihren Weg an seinem Lager entlang. Im Takt seines in den ganzen Körper ausschlagenden Herzens. Was sollte er tun? Was um alles in der Welt sollte er nur tun?
     
     
    Nach Vigil und Laudes, die Mathilda im Frauenchor an ihrem gewohnten Platz gebetet hatte, wartete sie am Eingang, bis die Äbtissin die Kapelle verließ.
    Die blieb vor ihr stehen und musterte sie streng: „Ich will hoffen, dass dich ein sehr nachvollziehbarer Grund davon abhält, in deine Zelle zurückzukehren, um deine Strafe wieder anzutreten.“
    „Darf ich heute beichten gehen?“, fragte Mathilda sofort.
    Die Augen der Äbtissin wurden argwöhnisch. „Das hast du gestern bereits getan.“
    „Es ist aber ... noch etwas“, sagte Mathilda und achtete sorgfältig darauf, an den exakt richtigen Stellen leicht zu zögern. „Gestern war ich zu ... durcheinander. Aber während der Totenwache heute Nacht“, sie deutete auf den Sarg, „ist mir noch eine Sünde eingefallen, die bisher nicht zur Sprache gekommen ist.“
    Es klappte! Erfreut beobachtete Mathilda das erleichterte Lächeln, das über das Gesicht der Äbtissin huschte.
    „Das ist gut“, sagte diese. „Geh jetzt zurück in deine Zelle. Ich lasse dich später zur Beichte

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