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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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Tonsur strich, als wollte er sich vergewissern, ob sie noch vorhanden war. Das macht Pater Arno ganz genau so.  
    Die Wärme in ihr wurde größer. Diese Geste – hatte sie schon immer geliebt. Während seine Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes gerichtet war, tastete seine Fingerkuppe nach Stoppeln, wo er glattrasierte Haut erwartete oder erhoffte. Bei zufriedenstellendem Ergebnis stahl sich dann stets ein kleines Lächeln auf seine Lippen, selbst wenn er dabei war zu rügen, während das Gegenteil - auch wenn er gerade lachte – ein Stirnrunzeln auslöste.
    Diese unbewusste und völlig unreflektierte Bewegung war das Privateste, was Mathilda je an ihm wahrgenommen hatte.
    Sie lächelte und streckte die Hand aus nach seinem streichenden Finger. So gerne wollte sie diese Hand, dieses Haar, diesen Mann berühren.
    Noch ehe sie ihn erreicht hatte, hob er den Kopf und statt in blaue blickte sie tatsächlich in braune Augen. Pater Arnos Augen.
    Ihre Hand wollte zurückzucken. Sie konnte doch nicht - Pater Arno. Doch da lächelte der schon in stummem Einverständnis und senkte erneut den Kopf.
    „Dich will ich berühren“, flüsterte Mathilda und legte ihren Zeigefinger auf die kleine kahle Stelle mitten in seinem dunklen Haar, wo die Kopfhaut hell schimmerte.
    „Dich will ich berühren“, erwiderte Arno und legte seine Hand an ihre Wange.
    Kalt. Mathilda schreckte aus dem Schlaf, etwas Eisiges im Gesicht. Im Hochfahren fühlte sie, es war ihre eigene, eiskalte Hand, die an ihrer Wange lag. Sie riss sie weg. Augenblicklich begann die Stelle zu prickeln. Als hätte sie mehr verloren als nur die Kälte, die sich von ihrer Hand auf die Wange übertragen hatte. Doch Arnos Gesicht war dabei noch immer vor ihren Augen. Nicht Sebastian war es, nach dem sie sich sehnte, die ganze Zeit gesehnt hatte. Er, der wundervolle Mann, der sie verstand wie kein zweiter, er war es. Die ganze Zeit gewesen. Und sie hatte geglaubt ... Wie hatte sie annehmen können, dass es Sebastian wäre? Wie ein leises Echo, das sich immer mehr verlor, waren ihre Gefühle für ihn fortwährend schwächer geworden, während Arno ... Er hatte ihr Denken bestimmt, ihr Sehnen, ihre Träume. Ohne dass sie es bemerkt hätte. Bis heute. Bis er sich verraten hatte.
    Weil er es selbst nicht gewusst hat , überlegte sie und nickte. Ja, das war schlüssig. Er hatte etwas gefühlt und sich dagegen gewehrt. Sie zu Georg geschoben. Und gelitten, als klar geworden war, dass Georg reagiert hatte.
    Aber ich – ich habe doch nicht reagiert. Weil ich nicht Georg wollte, sondern gemeint habe, ich würde mich noch immer nach Sebastian sehnen.
    Wann war das geschehen? Wann war Sebastian in ihrem Herzen, in ihrem Hoffen und Sehnen in den Hintergrund gerückt? Wann hatte sich Arno vor ihn geschoben, von ihr völlig unbemerkt?
    Sie lauschte in sich. Da waren Gefühle für Arno. Bei ihm wollte sie sein, ihn wollte sie ansehen, von ihm gesehen werden. Sie wollte mit ihm über die Dinge reden, die sie beschäftigten, wollte seine Meinung, seine Erfahrung, seine ... Achtung und Zuneigung.
    Aber waren das Gefühle für den geliebten, geachteten Lehrer und Beichtvater – oder für den Mann?
    Mathilda biss sich auf die Lippen. Das musste sie klären. Alleine, mit sich, für sich. Die Frage war nur, wie? Ihre Augen schweiften durch den Raum und blieben am Kreuz hängen.
    Gott. Sie würde das mit Gott ausmachen.
    Eilig stand sie auf, nahm die beiden Wolldecken und schlang sie um sich, dann holte sie den Rosenkranz aus der Skapuliertasche und kniete sich vor das Kreuz: „Gott, ich habe Probleme, bitte hilf mir, sie zu lösen. Bitte hilf mir dabei festzustellen, ob ich nur dich liebe oder Arno oder vielleicht doch Sebastian.“
    Dann nahm sie das Kreuz des Rosenkranzes und begann: „Credo in Deum Patrem omnipotentem, Creatorem caeli et terrae. Et in Iesum Christum, Filium eius unicum, Dominum nostrum ...“
     
    Die letzte Perle. Mathilda ließ den Rosenkranz sinken. Nichts hatte sich ereignet. Kein erlösender Gedanke, kein aufklärendes Gefühl.
    „Gott, ich muss wissen, was ich will“, forderte sie und nahm das Kreuz erneut zwischen die Finger. Diesmal würde sie es auf Deutsch probieren: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn ...“
     
    Nach dem zweiten Rosenkranz waren ihre Knie taub. Ihre Füße fühlte sie gar nicht mehr. Doch mehr war nicht geschehen.
    Also begann

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