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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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Vielleicht vom andauernd gekrümmten Demütigsein. Und sie fühlte überdeutlich, dass sie das für sich nicht wollte. Sicher, auch sie würde altern – irgendwann. Aber sie wollte in all diesen Jahren nicht Nonne sein, wollte kein Klosterleben, nicht gehorsam sein in allen Dingen, keinerlei Freiheiten haben in jedweden Angelegenheiten. Die Vorstellung der vollständigen Selbstaufgabe, die das Leben einer Nonne nun einmal ausmachte, nahm ihr den Atem und machte es unmöglich stillzustehen. Alles, alles andere war weitaus besser. Hauptsache leben, denken, fühlen!
    Sie musste weg von hier, aus der erdrückenden Enge, die ihr den Brustkorb einschnürte, die Luft nahm. Nur mühsam unterdrückte sie den Impuls, sich umzudrehen und hinauszurennen.
    „ In nomine patri et filii et spiritus sancti.“  
    „Amen.“
    „Ite missa est.“
    Vorbei, endlich. Mathilda wandte sich ab und strebte dem Ausgang des Frauenchores zu. Jetzt Holz in den Kapitelsaal bringen, Tertia beten mit den Laienschwestern und der Schönin in der Pforte, dann Holz in den Krankensaal schleppen, Essen und Rekreation, bevor es am Nachmittag – keinen Unterricht geben würde.
    Während sie mit den anderen zum Holzdienst eingeteilten Laienschwestern dem Ausgang zustrebte, schüttelte sie voller Abwehr den Kopf. Unerträglich war das, nicht auszuhalten. Ihr Leben hier war schön gewesen durch die Nachmittage in der Unterrichtsstube. In Arnos Nähe hatte sie den klösterlichen Rest aushalten können. Nun war er weg. Was sollte sie ab sofort am Nachmittag tun, alleine dort drüben, wo die Luft noch nach ihm duftete, seine Wärme noch immer in den Balken der Decke hing? Sicher, sie konnte einfach weiter übersetzen – und das würde sie auch tun. Nicht auszudenken schließlich, was geschähe, sollte Mutter Örtlerin befinden, sie könnte diese Zeit nutzbringender bei einer anderen Arbeit verbringen. Nein! Lieber einsam dort sitzen und so tun, als wäre sie beschäftigt. Was sie bis zu einem gewissen Grad ja auch war. Zumindest ihre Gedanken, die immerzu bei ihm waren. Wo war er? Wie ging es ihm gerade? Dachte er wenigstens ab und zu an sie? Vermisste er sie vielleicht?
    Ob sie irgendwie mit Pater Heussgen sprechen könnte? Er war immerhin der einzige Mensch, der Bescheid wusste. Und guthieß, was alle anderen verdammenswürdig finden würden.
    Aber Pater Heussgen würde oben sein, im Skriptorium, bei den anderen. Und sie würde ihn nicht ständig herausbitten können.
    Nein, sie würde alleine bleiben, arbeiten – und ansonsten die Zähne zusammenbeißen. Etwas anderes blieb ja wohl auch kaum.
     
     
    Die Welt. Die andere Welt, die weltliche. Die man tatsächlich vergaß, wenn man jahrein, jahraus hinter dicken Klostermauern lebte. War Arno einmal durch diese Welt gereist? Hatte nach dem Weg gefragt, Bauern Nahrungsmittel abgekauft, Preise für Quartiere ausgehandelt? Hatte Menschen kennengelernt, mit ihnen gegessen und getrunken und geredet? War er gar in Rom gewesen? War Kardinälen und anderen hochgestellten Persönlichkeiten vorgestellt worden, hatte ihnen Frage und Antwort gestanden, war allseits akzeptiert worden? Während jetzt ...
     
    Sein Herz schlug unangenehm rasch in seiner Brust, als er in der diesigen Ferne zwei hoch aufragende Spitzen ausmachte, die die Türme des Doms St. Maria und St. Korbinian sein müssten: Freising, sein Ziel.
    Die vergangenen beiden Tage seiner Reise hatte er sich – dank der großzügigen Wegzehrung, die Benjamin ihm eingepackt hatte – weitestgehend von allen Menschen fernhalten können. Und die beiden Bauern, bei denen er Heu für den Wallach und Nachtlager für sie beide erbeten hatte, hatten ihn auch nicht weiter behelligt. Das würde heute, in der Stadt, sehr viel schwieriger sein.
    Er seufzte tief und trieb das Pferd an, sich wieder in Bewegung zu setzen. Gleich sein erster Weg würde nach Sankt Georg führen, Pater Bertrams Kirche. Und wenn er erst einmal dort angekommen sein würde – dann wird alles gut, wisperte es in seinem Kopf. Das war irrational, doch irgendwie ließ sich dieses kindliche Gefühl nicht abschütteln.
     
    Es war vor allem der Gestank, der Arnos Kehle zusammenschnürte und ihm das Atmen schwermachte. Die hohen, das Tageslicht schluckenden Häuser, der Müll in der schattigen Rinne dazwischen, die herumstreunenden Kinder, geschäftigen Dienstmädchen und Handwerker, an den Hausecken lachend, schwatzend und zeternd, ab und zu eine vorbeizuckelnde Kutsche.
    Am Stadttor war er

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