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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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war verloren hier. Sogar die sonst so energiegeladene Katharina war gefangen in ihren eigenen Problemen, verschlossen und still. Inmitten der Kirche und aller Menschen, die hier lebten, war Mathilda allein und völlig verloren. Nichts mehr machte Sinn.
    Wieder suchte sie in sich nach Arno. Wenigstens dort wollte sie ihn sich erhalten, sein Bild heraufbeschwören, ihm nahe sein. Doch wieder mühte sie sich vergebens. Vor Verzweiflung rollten Tränen über ihre Wangen. In einem letzten, verzweifelten Aufbäumen schloss sie die Augen.
     
    „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit seinem Angesicht.“
     
    Ihre Stimme hallte durch die Kirche und das entstehende Echo verstärkte ihr Gefühl von Einsamkeit noch. Sie sang weiter:
     
    „Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mein vergessen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt?“
     
    Als sie schon einmal hier gestanden war, hatte sie Arno direkt vor sich gesehen. Mathilda öffnete die Augen. Dort, jenseits der Brüstung war er gewesen.
    Sie neigte sich nach vorn. Irgendwo da drüben, wo jetzt – nichts war. Doch, doch, da war doch etwas! Ein Sog, ein Ziehen, nach vorn, über die Brüstung hinweg. Dort, jenseits würde Arno auf sie warten.
    Sie wankte – und riss ihre Arme, sich zurück, stieß sich von der Brüstung ab und wich nach hinten, an die Wand. Was tat sie hier? Arno war doch gar nicht - da!
    Ein tiefes Schluchzen würgte sie und sie räusperte sich. Sie war hier, um zu singen – und nicht, um sich von der Brüstung in die Kirche zu stürzen! Fahrig wischte sie sich über die Augen, tat einen Schritt nach vorn in Richtung Brüstung – und wich hastig wieder zurück. Nein! Sie wollte nicht ... musste dem Sog widerstehen, weitersingen! Dieses Gefühl nach vorn hatte erst eingesetzt, als sie aufgehört hatte zu singen.
    Mathilda konzentrierte sich, dann öffnete sie den Mund:
     
    „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“
    „Mathilda?“
    Ertappt zuckte sie zusammen, als sie durch die Stimme Mutter Örtlerins aus ihrer Verzweiflung in die Wirklichkeit zurückgerissen wurde. Voller Schreck wandte sie ihr tränennasses Gesicht der Äbtissin zu.
    „Du wolltest doch in den Chor, beten. Was tust du also hier?“
    Mathilda schüttelte den Kopf. „Dort ... hab ich es nicht ausgehalten. Hier ist mehr Luft.“ Sie wies mit der Hand in den freien Raum jenseits der Brüstung. „Und der Klang ist – erfüllender.“
    „Willst du damit etwa sagen, dass du hier besser beten kannst?“, fragte die Äbtissin mit abwehrendem Erstaunen in der Stimme. „Aber du gehörst nicht hierher, bist schließlich keine Laienschwester.“
    Dazu hätte Mathilda normalerweise eine Menge zu sagen gewusst. Jetzt nicht. Gerade jetzt hatte sie endlich Arno vor Augen. Wie er dastand, wie er lächelte, wie er mit den Händen gestikulierte. „Hier sind die Bilder deutlicher“, sagte sie und lächelte ihrerseits Arno zu, trocknete ihre Tränen und sah die Äbtissin an, genau darauf achtend, Arno nicht aus dem Fokus zu verlieren.
    Mit einem Mal sah Mutter Örtlerin nicht mehr ärgerlich, sondern erstaunt und fast ergriffen aus. „Es stimmt also doch. Und ich dachte schon ...“
    Sie brach ab, nahm Mathildas Hände in die ihre. „Wenn es dir hier leichter fällt, solltest du diese Stelle öfter aufsuchen. Komm hierher, wann auch immer dir danach ist.“
    Überrascht und ein wenig verunsichert sah Mathilda sie an. „Wie meint Ihr das?“
    „Ab sofort sollte dein Bedürfnis nach Kontemplation Vorrang haben. Wenn du das Gefühl hast, hierher kommen zu müssen, um dich ins Gebet versenken zu können, dann solltest du das auch tun. Gib mir einfach ein Zeichen, damit ich weiß, wohin du gehst.“
    Mit allem hätte Mathilda gerechnet, nicht aber mit Verständnis und einer derart großzügigen Erlaubnis.
    „Danke.“
    „Ist schon gut“, erwiderte Mutter Örtlerin und tat einen Schritt zurück. „Mir tut es leid, dass ich dich gestört habe. Wenn du kannst ... Es ist noch etwas Zeit bis Sexta.“
    Und schon war sie verschwunden.
    Mathilda sah ihr mit gerunzelter Stirn nach. Hatte sie das womöglich geträumt? Doch sie konnte die sich entfernenden Schritte hören. Nein, die Äbtissin war wirklich gerade dagewesen und hatte ihr die Erlaubnis

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