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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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hatte die verschränkten Arme um sich gelöst, klammerte sich jetzt an den Rand der Bank. „Sie war meine Mentorin, als ich hierher kam. Ich hatte viel Angst, war aber sehr froh, endlich hier zu sein. Sie hat sich sehr viel um mich gekümmert. Und da hab ich gemerkt, dass ich die ganze Zeit eigentlich nicht nach Gott gesucht habe, sondern nach ...“
    „Einem Menschen wie ihr“, vollendete Mathilda den Satz.
    „Nach ihr“, korrigierte Katharina.
    Sie seufzte, stieß sich von der Bank ab, dass die wackelte, sprang auf und lief auf eines der Fenster zu. „Aber sie und ich sind hier – und hier ist es verboten, jemand andern zu lieben als ausschließlich nur Gott.“
    Etwas, das hinter der Bank festgeklemmt gewesen sein musste, flatterte zu Boden. Mathilda bückte sich und zog es hervor. Es war eine ausgerissene Seite aus einem Buch, die Ränder mit einer ganz anderen Handschrift vollgekritzelt.
    „Sieh mal“, sagte Mathilda, hob das Blatt und begann laut zu lesen: „Gott, ich flehe dich an. Ich will dich lieben. Mit all meiner Kraft bemühe ich mich darum, aber meine ganze Liebe ist irdisch. Hilf mir, ich flehe dich an.“
    „Gib das her!“
    Katharina riss Mathilda mit einer heftigen Bewegung das Blatt aus der Hand und beugte sich darüber. „Du meine Güte, es ist tatsächlich ihre Schrift!“
    „Dann ist es wohl gut, dass wir es gefunden haben“, flüsterte Mathilda.
    „Gut?“ Katharina hielt ihr das Blatt vor die Nase. „Gut ist gewaltig untertrieben. Hier haben wir den Grund für ihre Selbstanklage vorgestern. Sie muss es verloren und nicht mehr gefunden haben und deswegen jetzt annehmen, dass es in falsche Hände geraten ist. Sie hatte Angst vor einer Anklage!“
    „Wirst du es ihr wiedergeben?“, fragte Mathilda.
    Katharina seufzte nachdrücklich und schob das Papier unter ihr Skapulier.
    Mathilda nickte. Vielleicht würde Katharina das tun, vielleicht aber auch nicht. Das konnte sie nicht einschätzen. Sicher wusste sie nur, was da noch in Elisabeths ordentlicher Handschrift geschrieben stand: Katharina Greulich.
    Elisabeth hatte mit Sicherheit nicht vor der eigenen Anklage Angst gehabt. Sich selbst anzuklagen war in ihrer verzweifelten Situation die einzige Möglichkeit gewesen, Katharina zu schützen.

… soll dasselbe Maß für alle festgelegt werden
     
     
    „Pater Arno, ich brauche Eure Hilfe!“
    Hartwig? Der Junge war atemlos auf Arno, am Pult des Klassenzimmers stehend, zugestürmt. Fasste jetzt nach seiner Mappe und zwang ihn so dazu, seine Suche nach Georgs Übersetzung der Bibelstelle, die gleich während des Essens gelesen werden sollte, zu unterbrechen. Es schien wirklich dringend.
    „Was ist passiert?“
    „Kommt bitte mit nach vorne, zur Essenswinde. Es gibt Schwierigkeiten, die Ihr ...“
    Die Essensübergabe? Die in einem Raum unterhalb des Redhauses stattfand, wo die Schwestern die von ihnen zubereitete Mahlzeit in den Männerkonvent hinüberdrehten, ohne dass Nonnen und Mönche in einem Raum zusammentreffen mussten? So hatte es sich die heilige Birgitta einst ersonnen.
    Arno schob Hartwig von sich. „Ist die Winde schon wieder kaputt? Dann holt doch bitte gleich Bruder Albrecht, damit der sich die Sache ansieht.“
    „Nein, darum geht es nicht. Ich meine, ja, die Winde ist kaputt, aber Schwester Narcholzin hat das Essen schon im Redhaus übergeben, es ist in der Bruderküche. Es geht um Pater Palgmacher, ich meine um Pater Heussgen. Pater Palgmacher ...“
    Oh, Heussgen und Palgmacher zusammen – das war natürlich etwas anderes. Arno ließ die Mappe auf dem Pult zurück und folgte seinem besorgten Schüler, der immer zwei Schritte voraus der Bruderküche entgegenstrebte, wo das Essen servierfertig gemacht wurde.
    Palgmacher wütete. Ausgerechnet gegen den Mann, den er vor zwei Jahren unter allen Umständen in die Bruderschaft hatte aufnehmen wollen. Arno hatte noch lebhaft im Gedächtnis, wie der Prior gegen die Örtlerin und deren Bedenken hatte kämpfen müssen. Wie er sie schließlich überzeugt hatte, indem er von der Aufwertung des Klosters gesprochen hatte, die die Aufnahme der hochgestellten Persönlichkeit Johannes Oekolampadius nach sich zöge. Und jetzt ...
    „Palgmacher will Heussgen aushungern?“, fragte er Hartwig neugierig.
    „Das kann er doch nicht machen, oder?“ Dies war einer der Momente, in denen der oft so trocken wirkende Hartwig vor Emotionen strotzte. In diesem Fall vor leidenschaftlichem Zorn. „Ich meine, Pater Heussgen ist offiziell

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