Und führe uns nicht in Versuchung: Kriminalroman (German Edition)
Mane.
Das nahm ich in den nächsten zehn Sekunden allerdings wieder zurück, denn der alte Schaller war gerade dabei, sich umzuziehen, und riss sich einfach alles vom Leib, was er anhatte.
Uah. Das war entsetzlich. Ich sah auf einen haarigen, faltigen Hängehintern. Ich machte mich auf einen hastigen Rückzug gefasst, da fiel mein Blick auf ein riesiges Handy, das am Tisch lag. Ein Seniorenhandy mit Ziffern, die so groß wie Klodeckel waren.
Holländisches Handy, dachte ich mir und starrte fasziniert auf den Tisch.
Mit einer Hand tastete ich nach meinem Handy und nach dem Zettel mit der Mördernummer. Das Rosengitter knackte verdächtig, während ich versuchte, einhändig die Nummer einzugeben. Ich hörte das Freizeichen. Gleichzeitig hörte ich, dass das Handy auf dem Tisch klingelte.
Volltreffer. Im nächsten Moment machte der Schaller Anstalten, sich umzudrehen und das Handy zu packen. Vor Schreck machte ich, dass ich wegkam. Unter mir krachte das Rosengitter, das anscheinend nicht als Kletterhilfe gedacht war, und ich rauschte nach unten. Unten angekommen, verhakte sich mein linker Fuß in den restlichen Splittern des Gitters. Mein Herz wummerte schon so laut, dass ich fast ohnmächtig wurde. Der Gedanke, dass sich gleich ein nackter Schaller aus dem Fenster beugen würde, gab mir allerdings Kraft. Ich zerrte so heftig, dass das Holz splitterte und brach und ich wie ein Sack Kartoffeln nach hinten fiel.
Noch immer war aus dem Haus nichts zu hören. Vielleicht war der Schaller ja allein zu Hause und hatte sein Hörgerät ausgeschaltet. Und er hatte schließlich sein Holzbein abgelegt. Das dauerte natürlich, bis er das wieder dran hatte.
Ächzend humpelte ich zum Auto zurück. Meinem Fuß ging es nicht besonders gut. Aber lieber ein verstauchter Knöchel als ein nackter Schaller von vorn. Da war ein bisschen Schmerz ein angemessener Preis, fand ich. Bestimmt war es besser, in angemessenem Sicherheitsabstand im Auto zu warten. Als ich gerade die Tür hinter mir verriegelt hatte, klingelte mein Handy.
Mist. Ich starrte auf das Display und sah die Mördernummer. Der Schaller rief an. Natürlich. Der wollte wissen, wer ihn da angerufen hatte. Ich hatte total vergessen, dass meine Handynummer auf Schallers Handy angezeigt wurde.
»Meinungsumfrageinstitut Svoboski«, meldete ich mich süßlich.
An meinem Ohr tutete das Freizeichen.
Während ich mit meinem Fuß gymnastische Übungen machte – damit er nicht ganz steif wurde –, ließ ich die Haustür nicht aus dem Auge. Ich wählte die Nummer von Max. Erst in seinem Büro. Dann seine Handynummer. Aber noch immer war er nicht im Büro und sein Handy noch immer ausgeschaltet oder in einem sehr großen Funkloch. Ich konnte den Schaller jetzt unmöglich aus den Augen lassen. Bestimmt machte er sich zu neuen Mordanschlägen auf den Weg, und das durfte ich nicht zulassen. Mit dem Riesenseniorenhandy die Marlis anklingeln. Mich überlief es kalt. Eilig drückte ich auf Wahlwiederholung und rief Max an.
Hinter mir brummte es gewaltig laut. Der alte Schneider hatte anscheinend beschlossen, den kleinen Grasstreifen zwischen Gartenzaun und Bürgersteig zu mähen. Ich überlegte mir diverse Ausreden, wieso ich in dieser Straße parkte. Vielleicht kam der alte Schaller auch bald heraus, dann war ich sowieso so was von weg.
Und tatsächlich. Da kam er bereits. Wirklich topmodisch gekleidet. Cremefarbene Söckchen in dunkelbraunen Sandalen mit Netzoptik. Und dann noch eine kurze Hose. Der Schaller kannte keine falsche Scham. Wozu auch, schließlich würde er gleich sein Holzbein abschnallen, wenn er sich auf sein Mofa setzte.
Dann musste der Schneider unbedingt noch ein paar Worte mit dem Schaller wechseln.
»Hast du des auch grad g’hört?«, fragte der Schaller.
»Des Rumpeln?«, fragte der Schneider nach.
»Ja. Als wenn halt der Holzstoß einfällt«, beschrieb der Schaller es genau.
Holzstoß einfallen, das war jetzt nicht schmeichelhaft.
»Mei«, sagte der Schneider allwissend.
Dasselbe dachte ich mir auch.
Endlich ging der Schaller zur Garage. Ich startete vorsichtshalber schon einmal den Motor. Das Garagentor ging von allein auf. Dann passierte eine Weile gar nichts, vermutlich weil der Schaller mit seinem Bein beschäftigt war. Dann hörte man einen startenden Motor. Hinter mir wurde auch ein Motor angelassen.
Der Schneider wieder. Ständig am Rasenmähen. Hoffentlich fährt er mir nicht vor das Auto, dachte ich mir noch, während ich die
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