Und führe uns nicht in Versuchung: Kriminalroman (German Edition)
Scherz.«
Echt. Ich war einfach nicht mehr in der Stimmung für Scherze.
Gleich darauf sagte die Anneliese sehr laut: »Uuuups«, packte mich am Arm und riss mich zu Boden. Mein Herz machte ein paar Aussetzer, und mein Gehirn warf mir wieder einmal vor, dass ich so was von bescheuert war, hier ohne Maarten im Wald herumzukriechen.
»Pscht!«, machte sie und deutete mit dem Kopf nach vorn.
»Hm?«, fragte ich.
Anneliese formte mit beiden Händen vor den Augen das Zeichen für eine riesenhafte Brille. Mein Herz begann plötzlich noch wilder zu schlagen. Der blöde Schaller. Er war doch nicht heimgegangen, sondern kroch hier im Gestrüpp herum. Hatte der sonst nichts zu tun? Und wieso ließen die Kreszenz und die alte Schallerin das überhaupt zu? Der arme alte Mann konnte sich ja total verlaufen und fand vielleicht nie wieder heim. Nicht zu vergessen der Schreck, den er harmlosen Passanten einjagte. Mein Herzschlag beruhigte sich wieder.
Ich linste durch das Gebüsch und versuchte zu sehen, wo sich der alte Schaller herumdrückte. Eine Weile sah ich gar nichts, dann sah ich langsam und eckig einen braunen Parka durchs Unterholz wanken.
»Ist das nicht der Troidl?«
»Nein. Des is der Schaller. Ich hab ihn von vorne gesehen«, erklärte Anneliese.
»Ich glaub, ich habe ihn vorhin von hinten gesehen. Ich hätte gedacht, das ist der Troidl.« Was tat der alte Schaller mit einem kleinen Schäufelchen im Wald, mutterseelenallein? Ich versuchte etwas zu erkennen, aber der Schaller verschwand plötzlich in Richtung Haus. Ich lehnte mich gegen den Baum, hinter dem wir standen. Ätzend. Ausgerechnet jetzt musste der alte Schaller hier draußen herumweizen.
»Was tut der eigentlich allein mit seinem Holzbein im Wald?«, fragte ich böse. »Der kann doch sowieso nichts mehr machen.«
»Sag des ned.« Anneliese horchte für einen Moment auf Geräusche, dann fügte sie hinzu: »Der schneidet sogar noch die Obstbäume im Frühjahr.«
»Mit dem Holzbein?« Schmarrn.
»Nein. Des lässt er unten liegen«, berichtete Anneliese. »Der kann klettern wie ein Aff.«
Schmarrn.
»Die Zenz, seine Frau, die schimpft natürlich jedes Jahr. Und recht hat s’. Was da alles passieren kann, wenn’s den runterhaut vom Baum. Aber er hat g’sagt, da sterb ich doch lieber beim Baumschneiden, als dass ich ins Altersheim geh.«
Auch wieder wahr.
»Das hättest ihm jetzt nicht zugetraut?«, fragte Anneliese nach.
»Doch. Das Klettern schon«, antwortete ich. »Aber dass der die Äste noch sieht, das wundert mich.«
»Mei, die Bäume sind halt total verschnitten«, erklärte Anneliese im Plauderton, dann runzelte sie die Stirn und zog die Luft mehrmals ruckartig durch die Nase.
»Was ist denn das?« Angewidert hörte sie auf zu schnuppern.
»Riechst du des nicht? Des riecht ja wie …«
»Leiche«, sagte ich und unterdrückte das Würgen. »Lass uns gehen.«
»Spinnst du. Wir laufen dem Schaller direkt in die Arme.«
Ich lief lieber dem Schaller direkt in die Arme, als dass ich neben einer Leiche saß.
Anneliese saß lieber neben einer Leiche.
Ich versuchte, ganz flach zu atmen und möglichst keine Luft in die Nase zu bekommen. Es stank so erbärmlich nach fauligem süßlichen Fleisch, dass ich meinte, gleich ohnmächtig zu werden.
In meiner Tasche klingelte das Handy. Mist. Ausgerechnet jetzt.
»Mei, Lisa, gut, dass i di erreich«, kreischte mir Resis Stimme ins Ohr. »Nie erreich i dich …«
»Jaja«, flüsterte ich kraftlos. »Es geht ihm gut.«
Ich drückte das Gespräch weg und schaltete das Handy auf lautlos. Mannometer, die blöde Resi. Immer im richtigen Moment. Wenn ich mal erschossen werden würde, dann nur wegen der Resi.
»Das ist ja widerlich«, sagte Anneliese neben mir.
»Vielleicht ist das der Bruder vom Roidl«, schlug ich vor und presste die Augen fest zusammen.
»Schmarrn«, meinte Anneliese, »der hat überhaupt keinen Bruder.«
Wir blieben dicht zusammengekauert sitzen und warteten ab, was die jeweilig andere vorschlug.
»Glaubst du, dass dein Mann die Sabine beruhigen kann? Ich meine nur«, verteidigte ich mich. »Falls sie weint.«
»Wahrscheinlich nicht«, gab Anneliese zu, »aber wir müssen trotzdem nachschauen.«
Vermutlich.
»Ich wollte es dir schon gestern sagen«, sagte Anneliese mit einer sehr flach klingenden Stimme. »Stell dir vor. Ich hab meine Periode doch nicht gekriegt. Ich bin schwanger.«
»Gratulation«, sagte ich, und in dem Moment übergab sich Anneliese direkt vor meine
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