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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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Dann sprach er weiter, hier müsse ein Missverständnis vorliegen, das könne so nicht weitergehen, was das denn solle, wieso ich ihm Vorwürfe machen würde. Aus einer Seitentasche kramte ich ein neues Knäuel Socken hervor, entkrempelte sie und zog sie mir einhändig über den Fuß. Lene nieste, stand auf und zog die Vorhänge etwas beiseite, als ich mein T-Shirt überzog. Und auf die Frage, wasich gerade machen würde, antwortete ich: »Ich ziehe mich an.« Dann sagte er gar nichts mehr. Und auch das fühlte sich an wie eine Klage. Der kleine Schmerz war zu einem Druck geworden, der von der linken Brust aus langsam in die Mitte wanderte. Immer nur millimeterweise. Und später, als wir auf einer Bettdecke an die Treppenstufen gelehnt vor dem Haus saßen, versuchte ich Lene zu erklären, was das Problem sei. Ich merkte, dass ich es selbst nicht so genau wusste. »Aber es fühlt sich nicht gut an. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass er schiebt, wo er vorher nicht geschoben hat. Als wäre eine Hose aus Versehen im Trockner gelandet und nun zu klein.« – »Friedrich ist keine Hose«, sagte Lene und schaute mich eindringlich an. Die kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen trat stärker heraus. »Ich weiß«, sagte ich und versuchte, sie mit dem Finger glatt zu streichen.

    Wir gingen kurz ans Meer, dann trieben uns der frische Wind und die Menschen wieder zurück in unseren Garten hinter dem Haus. Wir legten aus den Kieseln verschiedene Muster auf den Stufen, und ich las Lene aus der Bedienungsanleitung des Autos vor, bis sie erneut in einen Dämmerzustand gefallen war. Vielleicht half es ja was. Als ich gerade beim Vergaser angekommen und Lene eingeschlafen war, bog Vince um die Ecke. Er stand da mit einem ungewohnten Bart im Gesicht, und ich konnte nicht einmal aufstehen, sondern wartete nur, bis sich zwei Arme um meinen Oberkörper legten.
    Ich war nicht mehr allein, ich hatte jetzt einen Verbündeten.
    Und Lene würde wieder gesund werden, dessen war ich mir plötzlich sicher. Meine Wange lag auf dem weichen Fleece des Pullovers, der ihm um die Schultern hing, er atmete gegen mein Ohr und ich selbst schien wieder verschwunden zu sein, ich rollte mich selbst vor meinen eigenen Füßen zusammen. Und auf einmal war ich mir sicher, ich wäre auseinander gefallen, wäre er eine Minute später gekommen. In Einzelteilen hätte ich herumgelegen, der Kopf wäre von der Treppe unter den Schrank gerollt, die Arme hätten neben Lenes Lager auf dem Sofa gelegen als kleine Attrappen für den Ernstfall, als Simulation. Meine Beine wären vielleicht ein bisschen im Kreis gelaufen, immer direkt an der Scheuerleiste entlang mit kleinen Bögen um die Schränke herum. Auf dem Fensterbrett sitzend hätten meine Finger diesem Treiben zugesehen oder nach draußen in Richtung der Bäume und Erdbeerpflanzen geschaut, ganz ruhig und müde. Meinen Nacken hätte Vince im Waschbecken unter einem heißen Strahl Wasser gefunden, meine Schultern ausgestreckt zwischen den Türrahmen, von einem Ende zum anderen. Mein Bauch hätte neben der Tür gesessen, wartend und knurrend wie ein Hund. Und Vince wäre um Haaresbreite zu spät gekommen, um Armeslänge vielleicht.

    Mit seiner Hand auf meinem Hinterkopf schob er die Dinge wieder ein bisschen fester ineinander, die Stabilität der Gesamtkonstruktion war für ein paar Stunden gesichert. Ich hörte mich laut ausatmen und einatmen und ausatmen, alshätte ich stundenlang die Luft angehalten, ich hörte mich schluchzen, und Vince hörte ich leise murmeln, und ich hörte, wie mein Herz ganz gleichmäßig schlug. Irgendwann kam ein Rascheln aus Lenes Richtung, gefolgt von Schritten und Husten, Worte wurden gewechselt, ein kurzes Schluchzen, ein tiefes Murmeln, und danach war Stille. In dieser Nacht lagen wir zu dritt im großen Bett, und als ich aufwachte, schrie ein Uhu. Ein zwei drei vier fünf Mal. Dann fiel ich wieder in einen traumlosen Schlaf.
14
    Als Vince bei den Vermietern klingelte, öffnete ihm ein groß gewachsener Mann. Wahrscheinlich würde er mir meine Erzählungen von dem kleinen seltsamen Mädchen nicht glauben, und ich wusste kurz selbst nicht genau, ob ich sie mir nicht eingebildet hatte. Die letzten Tage lagen nicht Punkt für Punkt an einem Zeitstrahl angeordnet, sie waren unterteilt in Problemeinheiten: das Zeitproblem, das Entfernungsproblem, das Essensproblem, das Krankheitsproblem, das Zielproblem, das Gesprächsproblem, das ganze Problem. Es gab nur Bilder, die ineinander

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