Und immer wieder Liebe Roman
Natürlichste auf der Welt), überreicht mir die junge Frau den Schlüssel für mein Postfach.
Als ich mit einer für meine innere Schweizer Uhr ungewöhnlichen Verspätung die Buchhandlung betrete, kümmert sich Alice gerade um eine kleine, rundliche Kundin mit aggressiv karottenrotem Haar, die in der Abteilung »Liebe und Verbrechen« herumstöbert.
»Gott sei Dank, Emma. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
Klar, ich hatte ihr nicht gesagt, dass es später werden würde. Die Karotte hat ihre Wahl getroffen, Der Liebesbeweis - die Geschichte vom rachedurstigen Mord an einer Ehefrau. Sie zahlt und geht deutlich aufgeheitert hinaus, ahnungslos, was sie in dem Buch erwartet.
»Kennst du Rendezvous nach Ladenschluss, Alice?«
»Nie gehört. Ist mir da etwas Wesentliches entgangen?«
»Das ist ein Film von Ernst Lubitsch, glaube ich. Der Originaltitel lautet The Shop Around the Corner . James Stewart arbeitet in einem Laden, dem Laden aus dem Titel nämlich, und ist unsterblich in ein Mädchen verliebt, das er nie persönlich kennengelernt hat. Sie schreiben sich aber ständig Briefe. Im selben Laden wie er arbeitet auch Margaret Sullavan. Die beiden können sich nicht ausstehen und wissen nicht, dass sie sich längst lieben. Margaret ist nämlich das Mädchen, das James Stewart nie kennengelernt und in das er sich verliebt hat... brieflich.«
»Das ist ja dieselbe Geschichte wie in E-Mail für Dich! Meg Ryan ist Buchhändlerin und Tom Hanks der arrogante Besitzer
einer riesigen Buchhandelskette, so eine von denen, die du in Grund und Boden stampfen willst! Meg hat von ihrer Mutter eine kleine Kinderbuchhandlung geerbt und muss nun schließen, weil in ihrer Nähe eine riesige Filiale dieser Kette eröffnet. Ihre Wut lässt sie in E-Mails an einen Unbekannten aus, der sich in sie verliebt. Ein Lobpreis auf die virtuelle Kommunikation. Den Film müsstest du mal sehen, damit du das Internet nicht immer so verteufelst.«
»Du redest vom Remake, Alice. Ich rede vom Original.«
»Soll ich mir den Roman besorgen?«
»Ich glaube nicht, dass diese Geschichte eine Romanvorlage hatte. Es ist mir nur so eingefallen.«
»Wenn ich heute Abend nach Hause komme, schaue ich im Internet nach.«
Das sagt sie mit Bedacht. Sie lässt keine Gelegenheit aus, mir unter die Nase zu reiben, dass im Laden ein Computer fehlt. Ich ignoriere die Provokation, gehe hinauf, um mir einen Kaffee zu machen, schnappe mir Eine und eine Nacht von Ennio Flaiano und denke über Titel für das Schaufenster »Blitzaffären« nach – die besten, behauptet mein Exmann, der die Verpflichtungen, die sich aus einer zweiten Verabredung ergeben, schon nicht mehr mit seinem Charakter vereinbaren kann.
Mailand, den 14. April 2001
Lust&Liebe
Lieber Federico,
das Geräusch, mit dem die Feder über das Papier kratzt, ist schon richtig ungewohnt, und ich bemühe mich, locker zu bleiben, um nicht Löcher oder Flecken auf dem Papier zu hinterlassen. Sonst müsste ich ja alles noch einmal abschreiben. Ungewohnt
ist es auch, beim Schreiben seine Gedanken sortieren zu müssen.
Es hätte eine Katastrophe werden können. Wir hätten ein Gefühl der Fremdheit empfinden können, hätten uns langweilen können, vielleicht hätte ich auf und davon laufen mögen. Ich bin ein vergesslicher Mensch. Du hast mir von uns erzählt, und das war, als würde ich eine unveröffentlichte Geschichte hören. Die Hauptfiguren verändern sich, entwickeln sich, bekommen Falten. Wolltest Du auch eine Person wiedertreffen, die Du als ziemlich schön in Erinnerung hattest, nur um sie uninteressant zu finden und nach Gesprächsthemen suchen zu müssen? Mir ist das jedenfalls nicht gelungen. Es war ein sehr schöner Abend, da hast Du wirklich recht. Und noch bewegender war es, Deinen Brief mit dem Vorschlag zu erhalten.
Seit jenem Abend leide ich mehr als sonst unter dem Phänomen, das die Franzosen esprit de l’escalier nennen, eine Beeinträchtigung, die mich schon seit Jahren plagt. Um das in den Griff zu bekommen, habe ich angefangen, eine Liste von Fragen zu erstellen. Einem der nächsten Briefe werde ich sie beifügen. Fühl Dich frei, nicht zu antworten, aber aus Deinen Antworten wird sich das Bild zusammensetzen, das ich mir von Dir machen werde. »Alle menschlichen Wesen erzählen sich die Geschichte ihres Lebens, indem sie eine Auswahl treffen. Sie treffen eine Auswahl und machen bestimmte Erinnerungen stark, während sie andere dem Vergessen anheimgeben. Alle
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