Und immer wieder Liebe Roman
den Schreibtisch gelegt hat. Ich habe mir fest vorgenommen, sie während der Festtage alle noch einmal zu lesen, alle neunundachtzig. Ein ganz schöner Stapel, mein persönlicher Briefroman. Sibilla Aleramo ist nichts dagegen! Ich gehe hinaus, setze mich auf mein Fahrrad und strampele los. Irgendwie bin ich stolz auf meine neue Rolle als Ehestifterin. Und darauf, dass ich eine tolerante Mama bin, die großzügig über den Umgang mit Orthographie hinwegsieht.
Von: Mattia Gentili
Datum: Dienstag, 22. Dezember 2002 11.27
An: Mama
Betreff: Reise
ciao mama dies wird wahrscheinlich für die nächsten zwölf tage die letzte mail sein... ich hab nämlich einen zehntägigen trip mit 2 freunden organisiert fahren mit dem auto in die australische wüste... zelt lagerfeuer wildnis... in der wüste ist nichts also kann ich nicht schreiben... sei also nicht beleidigt wenn du nichts von mir hörst
... mir gehts gut... meine wohnung ist schön meine mitbewohner spitzenmäßig... sie sind echt freundlich und hilfsbereit... nach nur 5 tagen waren wir schon freunde und haben coole sachen zusammen gemacht... die wäsche wasche ich und ich koche auch
und bin ein bisschen der hausherr denn die anderen, angela und jade (am 27 dezember kommt auch noch die dritte, kaia) sind voll die chaoten und ich mache gerne den hausputz... mit musik und so... was die arbeit betrifft na ja... ich habe mich erkundigt und alle restaurants wo ich wegen weihnachten angefragt habe haben mir geantwortet dass sie supervoll sind und es für einen blutigen anfänger wie mich nicht möglich ist zu arbeiten mit den vielen bestellungen und so... andererseits hast du ja aber auch gesagt dass man erfahrungen machen muss und so mache ich diese reise um ein bisschen abzuschalten und Orte zu sehen die ich wahrscheinlich nie wieder besuchen kann... gestern ist die schule zu Ende gegangen und das tut mir echt ein bisschen leid... viele meiner freunde werde ich nie wiedersehen... die stimmung war aber trotzdem gut... ich schicke dir meine neue adresse für den fall dass du mir was schicken willst... geschenke und päckchen sind willkommen.
Ridge Street 27, Surry Hills, Sydney NSW postal code 2010.
Mattia
Wird in der Schule denn keine Zeichensetzung mehr gelehrt?
Die Tradition will es, dass jedes neue Jahr mit etwas Ungewöhnlichem beginnt. Die erste Neuigkeit des Jahres 2003 ist verhängnisvoll: Der Hausverwalter, ein Kauz mit ausdruckslosen Knopfaugen und einer kleinen runden Metallbrille im dicken, runden Gesicht, hat uns in einem Einschreiben darüber informiert, dass die Pförtnerloge geschlossen wird. Eine goldglänzende Sprechanlage statt der Mandelaugen von Emily, die bereits ihre Lackobjekte und ihre Laterna-Magica-Sammlung einpackt, außerdem die Espresso-Maschine von Bialetti, die ich ihr mal geschenkt habe,
damit sie den einzigen Kaffee, der diesen Namen verdient, zu würdigen lernt. Sie sagt, dass sie nicht traurig ist. Der großzügige Hausverwalter hat ihr eine andere Arbeit besorgt: Sie soll sich um die Witwe des Anwalts Oldrini in der Via Nirone kümmern, das ist nicht weit von hier entfernt.
»Ich werde Sie in der Buchhandlung besuchen, Emma«, tröstet sie mich, während ich noch nach Worten des Trostes suche. Immer dreht sich alles um Geld. Den Luxus eines Pförtners können wir uns nach Auffassung dieses Fettsacks von einem Buchhalter, der unser Leben wie ein Blockwart kontrolliert, also nicht mehr leisten. Als wäre er es gewesen, der Emilys Gehalt bezahlt hat.
Ich habe Alberto in den Laden gebeten und ihn zum Essen eingeladen. Ich muss ihn nämlich unbedingt von meinem neuesten Plan überzeugen. In aller Kürze: Die Pförtnerloge mit ihren fünfundvierzig Quadratmetern geht auf den Hof hinaus und grenzt direkt an Lust&Liebe. Sie hat einen Kamin, der zwar nicht mehr in Gebrauch ist, der aber, weiß getüncht und mit Büchern und Bilderrahmen vollgestellt, eine Fotostrecke in »Elle Maison« wert wäre. Die ganzen letzten Nächte habe ich gehobene Einrichtungsmagazine gewälzt und nach Artikeln eines bestimmten Typs Ausschau gehalten: Die Welt auf zwanzig Quadratmetern. Klein, aber oho. Mein Zimmer – der Himmel auf Erden. Wie richte ich mit kleinem Budget meine Einraumwohnung ein . Wenn man den Experten Glauben schenken darf, sind fünfundvierzig Quadratmeter für ein Paar mit Kind ein gewaltiger Auslaufplatz. Für mich gilt das natürlich umso mehr. Ich habe Skizzen angefertigt (eher Kritzeleien auf kariertem Papier)
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