Und immer wieder Liebe Roman
gewartet habe. Dich wiederzufinden, war ein Zufall, aber der Zufall hat jetzt einen Körper. Deinen. Die Teile passen zusammen, und sie haben einen Namen: Emma. Es ist das erste Mal, dass ich Dir von ihr schreibe und sie mit den Augen eines Verräters betrachte – noch dazu in einem wehrlosen Moment: im Schlaf. Mit diesem Brief verrate ich sämtliche Sicherheiten und das Glück aus fünfundzwanzig Jahren Hingabe an Architektur und Karriere. Du fragst nicht, und ich schweige. Jetzt, da Du fern bist, versuche ich, Bekenntnisse abzulegen, und ich weiß, dass ich das für mich tue und nicht aus einem Bedürfnis nach Ehrlichkeit heraus. Ich bin mit der Frau verheiratet, die in dem Zimmer dort drüben schläft und – vermutlich – nicht weiß, dass ihr Mann, oder vielmehr das Bild, das sie sich von ihrem Mann macht, sich gerade verändert. Meine Freunde verknallen sich in Fünfundzwanzigjährige, und wenn sie es schaffen, mit ihnen ins Bett zu gehen, fühlen sie sich dem Tod weniger nahe. Mir ist aufgegangen, dass ich mich gar nicht jung fühlen möchte (und an den Tod denke ich übrigens gar nicht). Ich richte mich in meinem offiziellen Leben bequem ein und bestaune das Wunder von Sarahs Wachstum. Ein besorgter Vater war ich wohl schon immer, und meine beiden Frauen habe ich stets als etwas Richtiges und Verdientes betrachtet, ohne dass ich mir die Mühe machte, sie wirklich kennenzulernen.
Durch Dich bekommt mein sorgsam errichtetes Gebäude von Sicherheiten Risse. Die Konstruktion gibt nach, und das möchte ich nicht. Ich dachte immer, dass ich für meine Arbeit, für Sarah und für die Architektur lebe. Die Morgan Library ist das wichtigste Projekt meiner Karriere. Aber auf einmal spüre ich verzweifelt, dass Du nicht bei mir bist. Eine wie ich.
Und ich leide.
Federico
Simone de Beauvoir hat einmal an Nelson Algren geschrieben, dass es idiotisch sei, Liebesbriefe zu schreiben, weil Liebe sich nicht in einem Brief ausdrücken lasse – »aber was willst du machen, wenn sich zwischen dir und dem Mann, den du liebst, ein schrecklicher Ozean erstreckt«.
Ich muss einen Fluchtweg finden, irgendetwas von der Art: Lügen ist hässlich, ich kann deine Lebenspläne nicht durchkreuzen, pass auf dich auf, aber wir sollten dieses Dreiecksverhältnis beenden, vergiss es einfach, bislang ist ja nicht wirklich etwas geschehen. Wir sind eine Reproduktion, eine Fälschung, etwas Künstliches, eine Explosion des mittleren Lebensalters. Ich bräuchte etwas von der Weisheit Simone de Beauvoirs, um allgemeingültige Sätze schreiben zu können. Etwas in der Art wie: So kann es nicht laufen – es war eine Begegnung von Schulkameraden und wird nun zum Exil. Ich möchte nicht zwischen ihm und ihr stehen. Wir haben auf Unsichtbares gesetzt, und jetzt bezahlen wir dafür. Man kann sich ganz wunderbar in einer »Beziehung« einrichten, obwohl man fern voneinander ist. Das, was Federico und ich haben, ist aber keine Beziehung, sondern eine Liebesgeschichte, und so sollte sie auch behandelt werden. Es ist unmöglich, sie fortzusetzen. Sie einfach hinter sich zu lassen,
kann doch so schwer nicht sein, oder? Und doch finde ich nichts Falsches an der Sache. Nicht einmal das Wort »Beziehung« stört mich. Mit den Jahren wird man milder und nimmt sich, was man bekommen kann, weil man sich für etwas Umfassendes nicht würdig fühlt.
Mit den Jahren verliert auch das Wort »Abschnitt« seine negative Bedeutung. Ein Zeitabschnitt ist ein Geschenk des Zufalls. Simone nennt ihren Algren in den Briefen »mein über alles geliebter Ehemann«, »mein verehrter Ehemann ohne Ehe«, »mein Ehemann, das Krokodil«. Ja, sie spricht von ihm als Ehemann. Nicht als Geliebtem. Die Worte, die wir wählen, haben immer etwas zu bedeuten. »Ehe« bringt für Simone de Beauvoir die Ernsthaftigkeit ihrer Verbindung zum Ausdruck.
Es sind keine Kunden da, und ich schaffe es einfach nicht, mich abzulenken. Ich möchte so gerne in meinen Büchern eine Lösung finden.
Worum geht es mir bei Federico und mir? Was macht unsere Liebesbeziehung aus? Bei einem Mann, den man nur einmal im Jahr sieht, kann die Triebfeder nicht Sex sein. Sex verlangt nach Kontinuität. Die Zeit der Unschuld ist schon seit geraumer Zeit vorbei. Ich werde ihm schreiben – wenn ich mich mit Gabriella getroffen habe, der Stimme meines gewissenlosen Gewissens. Sie muss gespürt haben, wie wichtig es mir ist, mit ihr zu reden, und hat sofort zugesagt, mich in Porta Ticinese, in der
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