Und immer wieder Liebe Roman

April 2003
Lust&Liebe
     
    Lieber Federico,
    Erinnerungen waren für mich noch nie sehr wichtig, wie Du weißt. Mittlerweile habe ich jedoch angefangen, systematisch zu vergessen. Denn Dein letzter Brief zieht in gewisser Weise einen Schlussstrich. Ich möchte nicht das dritte weibliche Problem in Deinem Leben werden. In meiner Anmaßung bewerbe ich mich daher für die Rolle des Ankers, der Zuflucht, der Schublade, des Kofferraums, des Schmuckkästchens, des Tresors, der Muschel, der Parkbank. Beschützen, behüten, bewahren, ohne etwas zu zerstören ist grundsätzlich möglich, das ist meine feste Überzeugung. Die Schönheit unserer Begegnung in Briefen hat viele Aspekte: keine Verpflichtungen, keine Verfallszeiten, keine Versprechungen, keine abschließenden Urteile. Keine Routine, sondern ein ständiger Fluss.
    In Deinem Brief gibst Du Dich streng, als Gefangener schöner Gefühle und wunderbarer Sonnenuntergänge, aber es ist, als
würdest Du die Sonnenuntergänge aus dem Fenster betrachten, immer aus einem anderen, als ewiger Untermieter und nicht als Eigentümer. Wenn man es recht bedenkt, ist die Entfernung zwischen uns sogar von Vorteil: Sie schenkt uns die Freiheit, unsere Sonnenuntergänge zu betrachten in der Gewissheit, dass sie real sind. Einmal im Jahr ist die Landschaft dann jene, die Du mit mir kennengelernt hast und ich mit Dir. Du hast Dein Büro, die Morgan Library, New York und Sarah. Ich habe die Buchhandlung, Mattia, Gabriella und Alice, außerdem ein paar Verpflichtungen und ein paar Vergnügen. Anders als ich lebst Du in einer Ehe, während ich eine Menge Freunde und Kunden habe. Sie sind mein emotionales Universum, so wie Deine Familie Dein emotionales Universum ist. Grundsätzlich sind wir gleichauf. Und wer kann uns daran hindern, einfach so weiterzumachen wie bisher – also ohne unsere Treffen mit Symbolen, Verlusterfahrungen und neuen Wunden zu belasten? Ich sage es Dir: Nichts als unsere Unachtsamkeit. Zweiundfünfzig Jahre sind ein langes Leben, aber sie sind nicht der Maßstab für die Ewigkeit. Wir bieten uns etwas Wichtiges, das niemanden verletzt. Nimm diesen Satz als Antwort auf Deinen Ehebrief: Du und ich, wir sind wie die Morgan Library, und ich wette, dass dieser Vergleich Dir nicht absurd vorkommt. Elf Jahre nach J.PM.s Tod hat Jack den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt die Sammlung seines Vaters geschenkt. Ihr vergrößert die Bibliothek und ermöglicht einen besseren Zugang, ohne das Bestehende zu zerstören. Ihr restauriert, erweitert und sorgt dafür, dass die Schätze wieder Luft bekommen. Im Prinzip sind wir beide genauso. Wir haben nicht das Recht, die bestehende Architektur zu zerstören. Anna wird nichts erfahren, wenn Du es nicht willst. Sei nicht verletzt, aber so kann ich in Ruhe bewundern und bewundert werden. Und atmen.
    Emma

     
    P.S. Wie vernünftig ich geworden bin!
     
     
    Ein Glückstag. Mattias E-Mail wartet auf dem Schreibtisch, und in der Tasche habe ich Federicos Brief, der heute angekommen ist.
     
    Liebe Mama,
    was für ein schöner brief den du mir geschrieben hast... hat mir echt total gut gefallen... ich habe von unserem häuschen geträumt... von meinem zimmer... meinem orientierungsjahr hier und der zukünftigen arbeit... und von der ganzen zukunft... ja ich bin echt zufrieden... die idee mit dem neuen zimmer finde ich übrigens super... ja ja jaajajajaja... morgen gehe ich zu subway, das ist ein fastfood restaurant da will ich nach arbeit fragen... überhaupt arbeitet ein neuer freund von mir im jazzclub und hat mir erzählt dass er mit dem chef gesprochen hat und dass der mich vielleicht nimmt... wenn ich ihm gefalle wasche ich ab nächster woche dort teller ab... mal schauen... egal wie, es läuft alles super hier, gestern habe ich mit meinen mitbewohnern zu hause gefeiert... voll die burnsession... wir waren über 100 leute... stell dir das mal vor... so jetzt mach ich mal schluss... auf papa freue ich mich übrigens riesig... ich bin wirklich happy dass er mich besucht... hab dich total lieb... mattia
     
    »Alice, kannst du mir sagen, was eine ›Burnsession‹ ist?«, rufe ich in Richtung Galerie.

     
     
    New York, den 7. Mai 2003
Ort des Friedens Nr. 5, Strawberry Fields
     
    Liebe Emma,
    Renovation Question: Aufbleiben oder schließen?, lautete gestern die Schlagzeile in der New York Times. Gemeint war unsere Bibliothek. Die New Yorker sind nicht nur streng, was die Respektierung von Regeln betrifft, sie sind es auch im