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Und jede Nacht ist Halloween

Und jede Nacht ist Halloween

Titel: Und jede Nacht ist Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valerie Frankel
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Reserve zu locken. Indem ich so tat, als gähnte ich, steckte ich Mama heimlich in den Rücken meiner Leggings. Ich stand auf und dehnte mich. Mit ausgeklügelter Zufälligkeit patrouillierte ich durch die Bibliothek. Strom beobachtete mich vom Tisch aus. Ich prüfte mein Aussehen im riesigen gerahmten Spiegel und ließ meine Finger durch meine rabenschwarzen Haare gleiten. Im Spiegelbild registrierte ich die Schuhe, die unter dem Vorhang hervorlugten. Ich ging rückwärts vom Spiegel weg, wobei mein Bild mit jedem Schritt kleiner wurde. Als ich dicht genug war, wirbelte ich herum und griff Mama in einer Bewegung. Ich zielte den kleinen, vier Zoll langen Lauf auf den Vorhang, in der Höhe, wo ich mir den Kopf des Eindringlings vorstellte. Ich spannte den Hahn und drehte mich zu Strom. »Was haben wir denn hier, Strom? Einen deiner Lakaien?« Strom nahm einen Schluck Wein. »Sollte ich erst schießen und dann Fragen stellen?«
    Strom sagte: »Auf alle Fälle, Wanda, schieß.«
    Ich bewegte mich zentimeterweise auf die Wand zu. »Ich mach’s, Strom«, warnte ich ihn.
    »Laß mal sehen, wie hart du wirklich bist.«
    Ich zielte ausführlich noch einmal, blinzelte mit einem Auge. »Du hast fünf Sekunden rauszukommen, oder ich fange an zu schießen.«
    Strom lachte. Er sagte: »Worauf wartest du denn?«
    Ich fing den Countdown an. »Fünf, vier...«
    »Er wird nicht herauskommen, wenn ich es ihm nicht sage.«
    »Drei, zwei...«
    »Er würde für mich sterben, Wanda.«
    »Anderthalb, eineinviertel...«
    »Ich schätze, ich hatte recht, was dich betrifft.«
    »Es ist mir egal, ob du ihn gestillt hast, Strom. Niemandes Loyalität ist glühend genug, um für etwas zu sterben.«
    »Der Preis für Verrat ist noch höher.«
    Ich richtete meine Pistole gegen die Decke und drückte den Abzug. Die Explosion machte in dem höhlengleichen Raum ein Echo. Stücke des Kristalleuchters rieselten auf den Perser. Einige der Biker kamen, durch den Lärm der Explosion alarmiert, hereingerannt. Ich fummelte am Vorhang herum. Er war schwer, und als ich ihn endlich hochgerafft hatte, war der Eindringling schon durch die versteckte Tür verschwunden. Ich versuchte, sie aufzudrücken, aber sie war verschlossen. Verdammt, dachte ich. Ich hatte immer schon gewußt, daß meine dramatische Ader mich eines Tages noch mal arschen würde.
    Strom winkte den Bikern, sie sollten gehen, und schlich sich zu mir herüber. Er legte seinen Arm um meine Schultern und sagte: »Du zitterst ja.«
    »Hau ab.« Er schien verletzt — das erste Zeichen von irgendwelchen Gefühlen überhaupt, das ich bei Strom sah. »Du wolltest, daß ich ihn umbringe.«
    »Nein, ich wollte, daß er schreiend wegläuft. Ich wußte überhaupt nicht, daß er da war, bis du deine Pistole rausholtest.«
    »Und das Wort naiv steht nicht im Wörterbuch.«
    »Natürlich tut’s das.« Den hatte er nicht begriffen.
    »Ich hör’ verdammt noch mal auf«, sagte ich. »Lieber kotze ich Blut wegen schlechten Tequilas, als daß ich für so ein Monster wie dich arbeite. Deine Vorauszahlung behalte ich.« Ich schob mich an ihm vorbei und griff meinen Mantel. Er kam hinter mir her und wirbelte mich herum, daß ich ihn ansehen mußte. Etwas hatte sich in seinen grünen Augen verändert. Sie sahen traurig und hilflos aus, als ob die Vorstellung, daß ich ihn verlassen könnte, ihn zerschmettern würde. Eine gewaltige Bedrohung meiner Widerstandsfähigkeit — ich falle immer wieder auf traurige, hilflose Männer herein. Er legte seine Hand in meinen Nacken und seine Zunge in meinen Mund. Er hob mich vom Boden und preßte meinen Körper gegen seinen. Ich wußte nicht, ob ich nach Hilfe schreien oder vor lauter Leidenschaft in Verzückung geraten sollte. Er ließ mich wieder auf meine Füße, und ich stolperte außer Atem zurück. Er hatte die Kampfbereitschaft (und den Atem) aus mir herausgesaugt.
    Er sagte: »Es tut mir leid. Das hätte ich nicht tun sollen.«
    »Arbeite ich für dich oder nicht?« fragte ich.
    »Bleib hier heute abend.«
    »Verdammt noch mal, das hier ist meine Show.«
    Er flüsterte die Worte »Vertrau mir, Wanda«, bevor er mich wieder küßte. Diesmal wehrte ich mich überhaupt nicht.
    Während er mich zum Aufzug am Ende des Flures führte, fühlte ich mich bescheuerter, als ich es seit Jahren getan hatte. Ich könnte jederzeit die Mücke machen — bzw. ich nahm an, daß ich das könnte — , aber die unsichtbaren Finger des Verlangens schoben mich weiter. Wie ein Alkoholiker

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