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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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aber der Weg in die Verdammnis. Kam diese kindliche Vorstellung Esthers Gedanken nahe? Auf jeden Fall hatte sich für Anna eine winzige Tür zu Esthers Persönlichkeit geöffnet.
    „Es kann ja gut sein, dass ihr Mann sie nicht so gekannt hat wie Sie“, sagte Anna. „Erzählen Sie mir mehr über Esther. Was ist sie für ein Mensch gewesen?“
    „Sie war klasse, und sie konnte lachen.“
    „Wie haben Sie sich kennengelernt?“
    „Am Hauptbahnhof, ich muss wohl ziemlich angetörnt gewesen sein. Am Anfang wusste ich nicht, warum sie uns half, und es ist mir auch egal gewesen. Ich war froh, dass es endlich jemanden gab, mit dem ich mich unterhalten konnte.“
    Sein Glas Wasser war schon wieder leer. Anna stand auf und schenkte ihm nach.
    „Haben Sie denn keine Familie?“
    Mit spöttischem Grinsen überging er die Frage der Kommissarin.
    „Ich habe Esther sehr gemocht. Aber es hat ungefähr ein Jahr gedauert, bis auch sie anfing, mich zu mögen. Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Esther war wütend auf mich, denn ich hatte mich nicht an die Abmachung gehalten. Ich hatte wieder angefangen zu trinken.“
    Anna stellte ihr Rotweinglas auf den Couchtisch.
    „Esther kannte das. Sie hat mir klargemacht, dass es immer einen Anlass gibt. Jeder Säufer besitzt einen guten Grund, wieder zu trinken. Und immer hat es mit den anderen zu tun, nie mit einem selbst.“
    Ihr Gespräch wurde durch ein Klopfen jäh unterbrochen. Tom steckte seinen Kopf zur Tür herein.
    „Gute Nacht, Anna. Tut mir leid.“
    „Ist schon in Ordnung, bis nachher.“
    Tom schloss die Tür leise wieder zu, und Olaf Maas räusperte sich.
    „Ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe.“
    Anna drückte ihn sanft in den Sessel zurück.
    „Sie haben eben gesagt, dass Esther das Problem mit dem Alkohol von sich selber kannte. Wie hat sie es denn geschafft, mit dem Trinken aufzuhören?“
    „Sie verliebte sich in ihren Mann. Die ersten Jahre sind wohl sehr glücklich gewesen. Bis sie ein Kind wollte. Keine Chance.“
    „Warum hat sie sich nicht von ihrem Mann getrennt?“
    „Sie hatte keinen Beruf erlernt. Überhaupt wusste sie nicht, wie es ist, auf eigenen Füßen zu stehen. Esther hatte von Haus aus sehr viel Geld. Sie war nicht gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, es war einfach alles da. Deshalb fing sie wieder mit dem Trinken an, und dieses Mal viel schlimmer als in ihrer Jugend.“
    „Und wie hat ihre Familie darauf reagiert?“
    „Die haben sie von einem Sanatorium ins nächste gesteckt. Hat aber nichts genützt, es fehlte wohl auch nicht viel, und der Alkohol hätte sie umgebracht. Irgendwann muss ihr ein Licht aufgegangen sein. Sie hat sich helfen lassen und keinen Tropfen mehr angerührt. Ich habe Esther viel zu verdanken, in gewisser Weise fühle ich mich wie ihr Sohn. Wer auch immer diese Schweinerei zu verantworten hat, wird mich noch kennenlernen.“
    „Wir sind dafür da, die Dinge zu regeln, Herr Maas. Vergessen Sie das nicht.“
    „Ich werde Ihnen trotzdem helfen.“
    Er wandte sich zum Gehen. An der Haustür drehte Olaf Maas sich noch einmal um.
    „Ich weiß, dass ich keine Beweise habe, noch nicht.“
    Als er fort war, saß Anna noch lange da und starrte auf den traurigen Rest in ihrem Rotweinglas. Der einzige Mensch, dem Esther damals vertraute, sei das Kindermädchen gewesen, hatte Olaf Maas gesagt. Sie spürte die tiefe Einsamkeit, die in dieser Aussage steckte. Es war so leicht, eine Kinderseele zu zerbrechen.

5
    Samstagnachmittag, die Greves waren auf dem Weg ins Volksparkstadion, doch vor dem Elbtunnel ging wieder einmal gar nichts mehr. Entnervt schaltete Tom sein Autoradio ein.
    „Auf der A7 Richtung Norden fünf Kilometer Stau ab Anschlussstelle Heimfeld“, meldete gerade eine charmante Frauenstimme in den Verkehrsnachrichten.
    „So ein Mist, jetzt kommen wir wieder zu spät. Dass ihr auch nie pünktlich fertig werdet!“
    „Wir werden es schon noch schaffen.“
    Anna beobachtete ihren Mann, der auf seinem Fahrersitz hin und her rutschte. Er fuhr viel zu dicht auf. Dann drückte er auf die Hupe, weil der Toyota vor ihm eine Lücke hatte entstehen lassen, und schimpfte vor sich hin.
    „Warum musst du gleich so auf die Palme gehen? Ich fahre jeden Morgen und Abend hier durch, ich hätte schon einen Herzinfarkt bekommen, wenn ich mich jedes Mal so aufführen würde.“
    „Seit ein paar Wochen fährst du täglich durch den Tunnel, wohl gemerkt, ich mache das seit vielen Jahren.“
    Früher

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