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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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das mit dem Verbrechen an Esther zu tun?“
    „Es würde helfen, mir ein Bild zu machen.“
    „Ich kann keinen Sinn darin sehen.“
    „Bitte, Herr Hinrichs.“
    Widerwillig begann er: „Meine Frau hat seit ihrer Kindheit an einer Herzschwäche gelitten und ist diesem Leiden sehr früh erlegen.“
    „Das könnte, jedenfalls zum Teil, das unglückliche Leben Ihrer Tochter erklären.“
    Wilfried Hinrichs setzte sich mühsam in seinem Stuhl auf.
    „Warum? Meinen Sie, ein Vater allein ist nicht genug?“
    „Ich habe sagen wollen, dass Esther wahrscheinlich sehr unter dem Tod ihrer Mutter gelitten hat.“
    „Es ist für uns alle nicht leicht gewesen, aber ich habe mich immer bemüht, für sie zu sorgen. Meiner Tochter hat es an nichts gefehlt.“
    „Trotzdem hat sie angefangen zu trinken.“
    „Sie tun gerade so, als ob das meine Schuld gewesen ist. Es ist genug, ich habe Ihnen zu diesem Thema nichts mehr zu sagen.“
    Anna beobachtete den Alten, während er den Raum verließ. Sein rechtes Bein schien er heute noch mehr nachzuziehen als sonst. Es gehörte einiges an Selbstvertrauen dazu, dem Eisglitzern in seinen Augen standzuhalten. Anna schauderte bei dem Gedanken, wie es sein musste, diesen Mann zum Vater zu haben. Zum zweiten Mal hatte sie jetzt erleben müssen, wie er sie einfach stehen ließ. War es die Trauer oder seine Arroganz, die es ihm verbot, seinen Teil zur Lösung des Verbrechens an seiner Tochter Esther beizutragen?
    Wilfried Hinrichs starrte Anna Greve hinterher, wie sie am Steuer ihres dunkelgrünen Vectra die Ausfahrt passierte und hinter der nächsten Kurve verschwand.
    Ja, Johanna war seine Frau gewesen und er ihre große Liebe. Und doch war Johannas Liebe zu ihm nicht groß genug gewesen, als dass sie ihr Herz hätte heilen können. Wie sollte er die schnippische Feststellung dieser Kommissarin, Esther habe aus Verzweiflung wieder zu trinken angefangen, eigentlich verstehen? Hatte sie ihn etwa für das Schicksal seiner Tochter verantwortlich machen wollen? Nein, jeder Mensch hielt sein Glück und Unglück in den eigenen Händen. Wenn überhaupt jemand Schuld trug an Esthers Unglück, dann nur Johanna. Sie hatte Schuld, weil ihr Herz eben nicht stark genug gewesen war für ein langes, glückliches Leben. Immerhin hatte Wilfried seiner Tochter nach Johannas Tod all seine Liebe geschenkt. Er konnte schließlich nichts dafür, dass diese Liebe niemals ausreichte. Mochte die Kommissarin denken, was sie wollte, Wilfried Hinrichs hatte sich nichts vorzuwerfen.
    „Hat sich Olaf Maas inzwischen gemeldet?“
    Antonia Schenkenberg schüttelte bedauernd den Kopf.
    Anna ging zu ihrem Schreibtisch zurück, um die Recherchen über den Fußball-Club wieder aufzunehmen. Dessen Präsident, Horst Moebus, kannte sie vom Sehen, Jan hatte ihn ihr einmal vorgestellt. Horst Moebus schien der Richtige für diesen Posten zu sein, denn er hatte den Verein auf einen guten Weg geführt und war darüber hinaus in der Lage, andere Menschen für den Sport zu begeistern.
    Anna erinnerte sich an ihre Begegnung. Horst Moebus hatte viel gelacht und dabei waren ihr seine ziemlich schiefen Zähne aufgefallen. Zwischen seinen Schneidezähnen tat sich eine große Lücke auf, was ihn der Kommissarin nur noch sympathischer gemacht hatte. Normalerweise trugen Menschen, die wie er im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen, eine Doppelreihe weiß polierter Jacketkronen im Mund, die makellos, aber zumeist künstlich aussahen und Anna immer an ein übergestülptes Draculagebiss aus dem Kinderfasching erinnerten. Während der Spiele saß er nicht auf einem überdachten Logenplatz, sondern inmitten der Auswechselspieler auf der Bank am Rande des Spielfeldes und fieberte bei den Leistungen seiner Mannschaft mit. Sie konnte sich nicht erinnern, einen anderen Präsidenten jemals so gesehen zu haben.
    Als Anna später nach getaner Arbeit mit ihrem Wagen nach Hause fuhr, überlegte sie, was sie heute wohl noch erwarten würde. Sie rieb sich die Augen und gähnte. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie sich in diesem Moment an einen ganz anderen Ort gewünscht. Einen Platz nur für sich allein.

9
    Es war spät am Abend und die Tagesthemen fast zu Ende. Anne Will leierte gerade ihren Gute-Nacht-Spruch herunter, als sich Olaf Maas von seiner Wohnung in Altona zum Großmarkt aufmachte. Vier Stunden blieben ihm bis zum Beginn der Schicht. Er musste nachdenken, und das konnte er am besten, wenn er zu Fuß durch die Stadt wanderte. Olaf

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