Und jeder tötet, was er liebt
verstorbene George Raimov gezählt wird.“
Weber strahlte.
„Kennen Sie Pawlowsk? Ich war früher einmal da, wir konnten ja nur in den Osten reisen. Als Kind war ich Leistungsturner und habe dort 1970 an einem internationalen Sportfest der Sozialistischen Jugend teilgenommen. Zwischen den Wettkämpfen blieb genügend Zeit, die Gegend zu erkunden. Pawlowsk liegt dreißig Kilometer südlich von Sankt Petersburg und ist ...“
Anna stöhnte auf. „Weber, machen Sie keine Stadtrundfahrt mit mir.“
„Bitte.“ Weber kickte mit seiner Schuhspitze gegen den Bürostuhl und schwieg, bis Anna ein zerknülltes Papier nach ihm warf. „In diesem Park steht jedenfalls ein Rundbau. Er wird Tempel der Freundschaft genannt und ist ein beliebter Treffpunkt. Seit der Identifikation von George Raimov haben unsere Kollegen das Areal nicht aus den Augen gelassen. Gestern Abend, kurz vor Schließung des Geländes gegen 20 Uhr, konnte die Miliz Holger Maiwald identifizieren und festnehmen. Er befindet sich jetzt auf dem deutschen Generalkonsulat in der Uliza Furschtatskaja 39.“
„Können wir mit ihm telefonieren?“
„Ich fliege nach Sankt Petersburg. Wenn sich die Verdachtsmomente gegen ihn erhärten, bringe ich Maiwald mit nach Hamburg zurück. Heute Nachmittag geht’s los. Wenn ich angekommen bin, melde ich mich.“
Webers Wangen hatten eine rosige Farbe bekommen. So wie er sich auf diese anstrengende Dienstreise freute, schien auch der Nacktmulch einen Nachholbedarf an eigenem Leben zu haben. Wahrscheinlich erleichterte es ihn, für ein paar Tage den Erwartungen von Frau und Kind entkommen zu können, dachte Anna.
„Ich dagegen werde den Nachmittag am Schreibtisch verbringen und an Sie denken.“
Als Weber gegangen war, schaltete sie ihren Computer ein und ließ sich auf die Homepage des HFC verbinden. Sie wussten bisher viel zu wenig über die Strukturen des Fußballvereins. Auf dem Flur hörte sie geschäftiges Treiben. Dann öffnete sich ihre Tür und ein Kollege aus dem Dezernat 4 fragte sie, ob sie mit ihm in die Kantine gehen wolle. Anna Greve spürte, wie ihr heiß wurde, fast hätte sie das Treffen mit Olaf Maas vergessen. In Richtung Stadtzentrum war wie gewöhnlich viel Verkehr. Anna parkte ihren Wagen in der Nähe einer U-Bahn-Station und stieg am Jungfernstieg aus. Die Straßen waren voller Menschen und jetzt erinnerte sie sich, dass hier heute eine Demonstration für mehr Radwege in der Stadt stattfinden sollte. Pünktlich um halb eins stand Anna vor dem Imbiss gegenüber von Karstadt und hielt Ausschau nach Olaf Maas. Menschen drängten sich an der Würstchenbude, als gäbe es dort etwas umsonst. Anna sah sich nach einem Platz um, an dem sie eine bessere Übersicht haben würde, und stellte sich dann mitten auf die Mönckebergstraße. Ein erhabenes Gefühl, wenn man bedachte, wie viele Autos hier sonst die Fahrbahn verstopften. Trotzdem schien es fast unmöglich, einen bestimmten Mann in diesem Gewimmel zu finden. Sie nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Olaf Maas. Vergeblich. Entweder hatte er abgeschaltet oder das Klingeln überhört. Mittlerweile war es kurz nach eins. Anna ging zum Imbiss hinüber und hielt dem schwitzenden Grillchef ihren Ausweis hin.
„Hat jemand nach mir gefragt oder eine Nachricht für mich hinterlassen?“
„Hier fragt man nach Currywurst und hinterlassen werden Ketchupflecken. Im Ernst, gute Frau, meinen Sie, ich hätte noch die Zeit für einen zweiten Job als Nachrichtenbote? Sonst irgendwas?“
„Ich nehme eine Thüringer mit viel Senf.“
Als sie ihr Würstchen aufgegessen hatte, versuchte Anna noch einmal, Olaf Maas zu erreichen. Wieder ging er nicht ans Telefon. Um kurz vor zwei verließ Anna ihren Platz auf der Mönckebergstraße und ging, zurück im Dezernat, zuerst in das Büro von Antonia Schenkenberg.
„Hat ein Herr Maas angerufen?“
„Tut mir leid, Anna, keine Nachrichten für Sie.“
Anna loggte sich wieder in die Website des HFC ein. Ihr Job hatte wirklich auch seine guten Seiten, schließlich interessierte sie sich sehr für den Verein. Seit sie denken konnte, war sie Fußballfan. Als Kind hatte Anna sich oft vorgestellt, wie schön es sein müsste, ein Junge zu sein. Dabei wollte sie nicht weiter pinkeln oder stärker zuschlagen können als die anderen, nein, für sie ging es nur darum, auf dem Platz ernst genommen zu werden. In der Schule sah der Lehrplan Fußballspielen allerdings nur für die Jungen vor. Die Mädchen turnten
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